'68 – Eine Weltrevolution*

Hörbuch/DVD

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CHF 34.00, EUR 19.90

ISBN: 3-85990-036-6


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Media ’68 ist ein teilweise von der Europäischen Union finanziertes Projekt zur Realisation einer CD-Rom und einer Internetseite, das die Ideen, Ereignisse und Bewegungen sowie eine knapp dargestellte Geschichte des Jahres 1968 auf der ganzen Welt zum Inhalt hat.

Mit einem vornehmlich historiografischen und dokumentarischen Ansatz werden die Ereignisse rekonstruiert. Bild- und Tondokumente vermitteln sinnlich die politische Entwicklung und kulturelle Produktion der Bewegungen, Zahlreiche Quellenhinweise ermöglichen eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema.
Ein Netz von Wechselbeziehungen und Verbindungen hat aus ’68 ein globales Ereignis gemacht. Diese Bewegung unterscheidet sich daher von den vorangegangenen und darauf folgenden politisch-sozialen Auseinandersetzungen. Ein Zeitraum, der in allen betroffenen Ländern dauerhafte Spuren und kontroverse Interpretationsansätze hinterlassen hat.

Dargestellt wird diese weltweite Bewegung unter anderem in zwölf Geschichten:

  • Der Vietnam-Krieg bleibt bis heute das einzige Beispiel eines Krieges, der nicht nur im Dschungel geführt wurde, sondern auch auf den Strassen, Plätzen und Universitäten der ganzen Welt.

  • Die 68er im frankistischen Spanien: Mit der Entstehung der Comisiones Obreras sind Asturien und die Universitäten die heissesten Punkte der spanischen Bewegung.

  • Das lange 1968 in Italien: Ausgehend von den besetzten Universitäten, erweitert sich die Bewegung bis zum Arbeiterfrühling 1969.

  • Der kurze Prager und Warschauer Frühling: Polen und Tschechoslowaken versuchen ihren realen Sozialismus zu erneuern.

  • Der Aufstand des Anderen Amerika: Von der antiautoritären Bewegung in Berkeley/Kalifornien zu den Black Panther.

  • BRD – die Studentenrevolte: Politisch-moralischer Aufstand gegen die nationalsozialistische Vergangenheit und die autoritären Nachkriegsverhältnisse.

  • Der französische Mai: Ein Land in der Hand der Studenten. Ein Flächenbrand, der die Arbeiter mobilisiert.

  • China – das Ende der kulturellen Revolution: Das Sinnbild einer ländlichen und revolutionären Dritten Welt.

  • 68 im Griechenland der Obristen: Im November verwandelt sich der Beerdigungszug von Papandreou in eine Demonstration gegen die Militärjunta.

  • Bewegung und Unterdrückung in Lateinamerika: Guerrillas und Studentenrevolten, militärische und autoritäre Regimes.

  • Der Kampf der japanischen Studenten: Die nationale Liga der Studenten (Zengakuren) gegen die autoritäre Wiederorganisation des Kapitalismus und für Demokratisierung.

  • Der Protest an den englischen Universitäten: Der Kongress „Dialektik der Befreiung“, Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und neue Trends – Rockers, Mods und Beatles.

Rezensionen

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Eine Weltrevolution

Ueli Bänziger / P.S.

Gerade hat uns der lange versprochene, aber immer wieder vertagte wirtschaftliche Aufschwung auf dem linken Fuss erwischt. Und in der Politik mimt man angesichts hartnäckiger Systemprobleme tapfer den Normalfall und wurstelt sich effizient aber konzeptlos durch die diversen Krisen. Gar die vebürgerlichte Linke muss schon froh sein, wenn sie sich mit dem Hinweis auf die Systemzwänge über den Verlust jeglicher kritischer Substanz hinweglügen kann.

Angesichts der weit verbreiteten Politikverdrossenheit und des gerade stattfindenden Debakels der neoliberalen "Vision" eines von jeglicher Verantwortung befreiten Marktes kann die Besinnung auf 1968 beschämend und verwirrend zugleich wirken. Beschämen muss der Enthusiasmus die zynisch "realistische" Welt von heute; und verwirren die jugendliche Politikbegeisterung die neuen Biedermeier und ihren vermeintlichen Rückzug ins Postmodern-Private.

Che Guevara und Ho Chi Min
Eine neue CD der Edition 8 bietet nun Gelegenheit, die vielschichtige und widersprüchliche 68er-Bewegung wieder aufleben zu lassen. Diese Vielschichtigkeit äussert sich in der Internationalität und der Themenvielfalt der Manifestationen von 1968. International war die 68er-Bewegung schon rein geografisch. Demonstrationen und Manifestationen fanden gleichzeitig in vielen Ländern West- und Osteuropas und in den USA statt. Der Befreiungskampf der Dritten Welt gab dem Aufruhr in der Ersten einige seiner potentesten Anlässe und Symbole: den Antiimperialismus und den Protest gegen den Vietnamkrieg, Che Guevara, Mao Tse-Tung und Ho Chi Minh Über den Antiimperialismus und den Kampf gegen die repressive Nachkriegsmoral erlebte auch der Antikapitalismus eine Neuauflage, löste sich aus der fixen Konstellation des Kalten Krieges und erhielt im Kampf für die Dritte Welt und gegen den Vietnamkrieg einen neuen Fokus. "Unterstützt" wurde diese Neuausrichtung durch den Sowjetimperialismus in Osteuropa und den Einmarsch in die Tschechoslowakei, womit der traditionelle, auf die Sowjetunion ausgerichtete Kommunismus einen ersichtlich reaktionären und unappetitlichen Beigeschmack erhielt. Dass gerade die Begeisterung für Mao und seine scheinbar "antiautoritären" roten Garden ein einziges grosses Missverständnis darstellte, steht auf einem anderen Blatt.

Alles politisch
Entzündeten sich die Proteste zunächst an den festgefahrenen Strukturen der vermassten Universitäten, übertrugen sie sich speziell in Frankreich und Italien auch auf die Gewerkschaften und die Arbeiter. Die polizeilichen Repressionsmassnahmen trugen dann zu einer massiven Eskalation bei, die das öffentliche Leben zeitweise lahm zu legen drohte. Die lauthals geäusserte Überzeugung, dass alles politisch sei, führte, ironischerweise vor allem zu einer Revolutionierung des Privaten, was in der Folge über die Popkultur zu einer neuen Warenästhetik führen sollte. Womit der Protest ins System reintegriert wurde.

Der bürgerliche Staat wurde für die aufbegehrende Jugend zum Inbegriff repressiver Moral und leerer, rein formaler Demokratie. Dagegen setzten die Protestbewegungen auf Basisdemokratie und die Ablehnung jeglicher Institutionalisierung. Unter der Parole "Die Fantasie an die Macht" wurden gesellschaftskritische Ideen diskutiert, zu Schlagwörtern kondensiert und auf die Strasse getragen.

Jugendlichkeit als Make-up
Eine Weltrevolution, wie die CD im Untertitel ankündigt, ist 1968 nicht gewesen. Anstösse wurden in der Selbstverwaltungsbewegung, in den grünen Parteien und in einer zeitweiligen Dritte-Welt-Euphorie der Linken aufgenommen, teilweise auch institutionalisiert. Insgesamt wurde der berühmte "Marsch durch die Institutionen" in diesen aufgefangen und neutralisiert. Die kapitalistische Gesellschaft entdeckte dank der Schützenhilfe der 68er, dass die repressive Moral der Nachkriegszeit zu einem Geschäftshindernis geworden war, und verpasste sich demgemäss ein auf Jugendlichkeit und "Freiheit" setzendes Make-up. Die fetischistische Zwangsstruktur des Kapitalismus und seiner famosen Demokratiefassade war hingegen kaum erschüttert worden. Dass die Energie von 1968 derart kläglich verpuffte, mag allerdings nicht zuletzt dem Umstand zugeschrieben werden, dass dieser Aufstand gegen die Enge historisch noch innerhalb des Nachkriegsbooms situiert war, der erst im Laufe der Siebzigerjahre ins Stottern geriet.

Sehr textlastig
Die CD der Edition 8 belegt dagegen die Wahrheit der Aussage Immanuel Wallersteins, die Vergangenheit könne nur so erzählt werden, wie sie wirklich sei, nicht wie sie war. 1968 ist zum Stoff für Historiker und Soziologen mutiert und gewinnt nur insofern Lebendigkeit, als damalige Frontstellungen unsere heutigen vorwegnehmen oder Widerspruch provozieren. Den Anspruch, zu einem kreativen Umgang mit dem Jahr des Aufbruchs beizutragen, kann diese Produktion jedoch nur beschränkt erfüllen. Die CD ist überaus textlastig. Zudem sind diese Texte in einer ermüdenden Soziologensprache formuliert, welcher der Schwung, die Fantasie und die Frechheit der 68er-Bewegung völlig abgeht. Die integrierten Bildsequenzen laufen viel zu rasch ab; und Tondokumente wie Protestsongs oder Reden sind nicht aufgenommen worden. Das Gleiche für die doch reiche Flugblätterkultur von 1968. Die Schweizer Szene mit den Globuskrawallen glänzt gar durch völlige Abwesenheit. Die zugehörige Website mag so Lücken allenfalls beseitigen. Angesichts von Länderübersichten, die in ausgedruckter Form Dutzende von Seiten füllen, fragt man sich jedoch unwillkürlich, ob ein Buch mit den entsprechenden Querverweisen den Zweck einer vernetzten Darstellung nicht ebenso gut wenn nicht besser erfüllt hätte.

Zu Gunsten der CD ist hingegen anzuführen dass sie Schülern oder Geschichtsstudenten als Einstieg zu 1968 einen umfassenden und facettenreichen Überblick bietet. Das Einseitige und Revolutionäre, mit anderen Worten das Lebendig-Engagierte an den damaligen Kämpfen scheint in dieser enzyklopädischen Darstellung allerdings nur bedingt auf. Damit verweist sie jedoch einmal mehr auf das jämmerliche Format heutiger linker Politik. Was nicht zuletzt auch die lahm gewordenen 68er zu verantworten haben, die allem Anschein nach nur noch systemkonform zu träumen wagen.