Carlino

Buch

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Aus dem Englischen von Stefan Howald

Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

208 Seiten

CHF 22.00, EUR 22.00

ISBN: 978-3-85990-039-4


3 Rezensionen

Freiheit bedeutet Gefahr: Das erlebt der britische Offizier Stuart Hood, als er im September 1943 aus einem Kriegsgefangenenlager in Norditalien freigelassen wird. Faschistischen Milizen und deutschen Besatzungstruppen ausweichend, schlägt er sich von Bauernhof zu Bauernhof durch, überquert im tiefsten Winter den Apennin und schliesst sich dem italienischen Widerstand in der Toskana an, bis zur Befreiung der Provinz durch die Alliierten.

Seine Erfahrungen beschreibt Stuart Hood in einer eindrücklich lakonischen, ebenso präzisen wie poetischen Sprache. Halb Asyl Suchender, halb Tagelöhner, lernt er eine bäuerliche Wirtschaft kennen, die durch den Krieg noch karger und isolierter geworden ist. Unerbittlich sind die Bauernfamilien ans Land, an die Jahreszeiten und den Landbesitzer gebunden, auf die bare Existenz reduziert. Und doch entspringt der Armut immer wieder menschliche Solidarität. So wird Hood unter dem Namen Carlino Mitglied einer Partisaneneinheit, überlebt einen faschistischen Hinterhalt, organisiert den Widerstand in Chianti und wird dabei mit ethischen Zwangslagen konfrontiert, wenn er einen vermuteten Spion hinrichten lässt.

Nach dem Krieg ist Hood mehrfach an die Stätten seiner Flucht und Kämpfe zurückgekehrt und später zum Ehrenbürger jener italienischen Gemeinde geworden, für deren Freiheit er sein Leben wagte. Sein Bericht reflektiert die Erinnerungen zugleich mit der nicht immer zuverlässigen Erinnerungsfähigkeit. Carlino erinnert an ein anderes Italien, in doppelter Hinsicht: Er beschreibt eine untergegangene bäuerliche Kultur und ein politisches Engagement, das bei allen schmerzhaften Entscheiden auf Leben und Tod letztlich Humanität nicht preisgibt.

Rezensionen

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Carlino - ein britischer Offizier im Widerstand

Urs Rauber / NZZ am Sonntag / 5.1.03

1942 war der britische Offizier Stuart Hood in italienische Kriegsgefangenschaft in Ägypten geraten, von wo er in ein Kriegsgefangenenlager bei Parma verbracht wurde. Am 9. September 1943, als die Alliierten von der Südspitze Italiens her vorstiessen und der Duce bereits seiner Ämter enthoben war, liess dort der italienische Lagerkommandant 400 britische Offiziere frei. Frei in ein vom Krieg desorganisiertes Land, in dem der Kampf zwischen italienischen Partisanen, faschistischen Milizen und deutschen Truppen tobte. Hier beginnt Hoods Bericht, der seinen Weg bis zum 15. August 1944 schildert, als er die Frontlinie überquert und in die Heimat zurückkehrt.

Hood schlägt sich, teils mit einem Mitkämpfer, von Bauernhof zu Bauernhof durch, überquert im Winter den Apennin, schliesst sich einer italienischen Partisanengruppe an, die ihm den Namen "Carlino" gibt. Einmal entkommt Carlino knapp einem faschistischen Überfall, ein anderes Mal erschiesst er bei einem Angriff einen jungen deutschen Soldaten ? einen Knaben, der "von Angst überflutet" ist. Er reflektiert die verstörenden Erfahrungen dieses Krieges, in dem er die Orte des Geschehens Jahrzehnte später wiederum aufsucht, manche italienische Gefährten und Bauersleute wieder findet und so seine Geschichte fortschreibt.

Hood beschreibt die bäuerliche Lebensform und die damit verbundenen Menschen in einer präzis-lakonischen, aber auch poetischen-heiteren Sprache. In Kontrast zur fast traumhaft geschilderten archaischen Welt steht die bedrohte Existenz in der zusammengewürfelten Partisanengruppe, die ihren selbst gesetzten Auftrag erfüllt, "etwas für die Kriegsanstrengungen" zu tun.

Hood spricht aber nicht nur von Entbehrungen, sondern auch von einer "Leichtigkeit der Existenz", da der Krieg für viele eine Flucht aus der Wirklichkeit auf Zeit darstellt. Darin sind die Sanktionen und Tabus der traditionellen Welt aufgehoben, dafür werden neue Freiheiten erfahren, auch Hoffnung, Solidarität und Menschlichkeit.

Nach dem Krieg machte Hood Karriere als Journalist bei der BBC und wurde Professor für Filmstudien. In seinem Buch, dessen Niederschrift er 1963 begann und das er 1985 neu auflegte, nennt er die Fragmente seiner Vergangenheit, die zu Erinnerungsfetzen abgeschliffen wurden, die "Kiesel meines Schädels". Der in London lebende Schweizer Journalist Stefan Howald entdeckte Hoods Bericht, übersetzte ihn und versah das Buch mit einem Porträt des heute 85?jährigen Autors. Eine unaufgeregte und eindrückliche Geschichte aus dem Widerstand ? von einem Autor, der zu Unrecht von der englischen und internationalen Kulturszene missachtet wird.

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"Carlino": Ein Schotte beim italienischen Widerstand

Paul L. Walser / WOZ / 19.9.02

Gegen Kleinmut und für die Zuversicht

Während die italienische Berlusconi-Clique die Erinnerung an den Partisanenwiderstand beseitigt, erzählt ein Buch ganz spröde und nüchtern eben davon.

Um den italienischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg, die «Resistenza», ist es still geworden. Berlusconi-Italien hat für den Abbau von linken Mythen gesorgt, sogar von solchen, die als resistent und solide gegolten hatten. Seit der Wende von 1989–1991, dem Zusammenbruch der kommunistischen Regimes in Osteuropa und der Sowjetunion, ist die italienische Linke auf der Flucht. Sie hat wertvolle Güter preisgegeben, kampflos, aus der trügerischen Hoffnung heraus, sich auf diese Weise umso leichter in der neuen, der postmodernen Epoche ein Plätzchen an der Sonne zu sichern. Die grösste kommunistische Partei des Westens, die zuvor mit Inbrunst ihre Eigenständigkeit und ihren Vorzeigecharakter betont hatte, kapitulierte. Ihren Gegnern, die ihnen allem Eurokommunismus zum Trotz stets Abhängigkeit von Moskau vorgeworfen hatten, kamen die «Comunisti italiani» unverhofft entgegen, indem sie sofort, Hals über Kopf, ihren Parteinamen – PCI – opferten, als handle es sich dabei um einen schädlichen, schändlichen, kompromittierenden Ballast.

Mit ihrem Verhalten hat die italienische Linke nicht nur einen inneren Zerschleissprozess heraufbeschworen, sondern Silvio Berlusconi und seinen Spiessgesellen, den direkten Nachfahren Mussolinis, den Weg zur Macht entscheidend erleichtert. Berlusconis Vizepremier ist Gianfranco Fini, der Chef der aus dem alt- und neofaschistischen Movimento sociale hervorgegangenen Alleanza nazionale. Schon in den achtziger Jahren war in Italien eine Offensive gegen das linke Kulturgut in Gang gekommen. Im Mittelpunkt dieser Bewegung stand die Beseitigung des Mythos von der «Resistenza» im Zweiten Weltkrieg. Kein Wunder, dass Regierungschef Berlusconi da mit allen zur Verfügung stehenden Kräften – und das sind so ziemlich alle Fernsehanstalten des Landes – mitmacht. Er hat ein beklemmend leichtes Spiel. Es entsteht der Eindruck einer Lawine, der sich niemand in den Weg zu stellen scheint. Wirklich nicht?

Das Jahr bei den Partisanen

Bei einer dermassen unheiteren Sachlage ist die Rückbesinnung auf die Idee des Widerstands ungeheuer wichtig – denn nur so kann eine Demokratie, die diesen Namen verdient, überleben. Deshalb kommt der unabhängigen, engagierten und authentischen Information eine vorrangige Bedeutung zu. Zum Glück gibt es immer noch das «Manifesto», das sich nach wie vor «quotidiano comunista» (kommunistische Tageszeitung) nennt, seit seinem Bestehen einen eigenständigen Kurs steuert und nie ein Parteiorgan gewesen ist. Tag für Tag leistet es mit seinem Erscheinen Widerstandsarbeit. Ein weites Feld des Widerstands ist auch die Literatur. Bücher können wertvolle Hilfe leisten beim Versuch, das «andere» Italien nicht vergessen zu lassen, können abgestorbene Zuversicht wieder wecken und dem Kleinmut Einhalt gebieten.

So ein Buch hat der Zürcher Journalist und Publizist Stefan Howald, der seit über zehn Jahren in London lebt, der Vergessenheit entrissen und ins Deutsche übersetzt. Es ist der Bericht eines ehemaligen britischen Nachrichtenoffiziers aus Schottland, Stuart Hood, der im September 1943 aus einem Gefangenenlager bei Parma floh und ein knappes Jahr bei den italienischen Partisanen in der Gegend von Chianti unter dem Decknamen Carlino zubrachte. Eine ganz unpathetisch, ganz einfach und anschaulich erzählte Geschichte, die durch ihre Nüchternheit ergreift. Denn diese Nüchternheit ist nichts anderes als Glaubwürdigkeit. Sie führt uns in eine archaische bäuerliche Welt der Genügsamkeit und Selbstversorgung, die wir heute auf unseren Ferientouren im Umkreis des Monte Amiata vergeblich suchen und die wir vielleicht noch von der legendären Scuola di Barbiana des linken Priesters Don Lorenzo Milani her in Erinnerung haben – ebenfalls sehr ferne Vergangenheit.

«Es gibt Augenblicke im Leben», schreibt Hood, «in denen die äusseren Umstände so genau der inneren Struktur unseres Wesens entsprechen, dass unsere Handlungen eine unheimliche Gewissheit bekommen. Einige sind so glücklich, in diesem Zustand der ‘Entsprechung’ geboren zu werden. Sie schwimmen wie Fische im Wasser. Andere erleben diese Leichtigkeit der Existenz nur gelegentlich, unter bestimmten Umständen und für eine kurze Zeit. Vielleicht gab diese Verbindung den Monaten, die ich in Chianti verbrachte, ihre spezielle Qualität an Glück, die sich über die Furcht und die Notwendigkeit zum Töten hinwegsetzte.»

Urlaub vom Leben

Hoods Darstellung gibt uns ausgezeichnete Auskunft über das Durcheinander des Partisanenkriegs, die chaotischen Zustände zwischen den Fronten, das lange Warten auf die Alliierten, die nie kamen, das Auftauchen der Deutschen, die Konflikte innerhalb der heterogenen Widerstandsgruppen, den Streit mit KP-Funktionären. Das Gefecht von Valibona, das später als erste «Schlacht» der Partisanen gegen die faschistischen Milizen gefeiert wurde, schildert Stuart Hood als ein stümperhaftes Unterfangen, das er nur mit Glück überlebte. Auf der Flucht warf er sein Gewehr weg. Wenn es Heldinnen und Helden gab, so waren das die eingesessenen «Bäuerinnen und Bauern, die ohne Aussicht auf Gegenleistung alles riskierten, um mir Schutz zu bieten in jener schwierigen, gefahrvollen Zeit». Hoods Sprache ist voll spröder Sinnlichkeit, der knorrigen Natur in der alten Toskana nicht unähnlich. Schelmisch bemerkt er, als Carlino habe er «nicht wie ein Engländer» ausgesehen, aber er stach mit seiner hohen Statur und seinem «schmalen Kopf wie ein Collie» von den Einheimischen ab. Er konnte mehrere Sprachen – Deutsch, Italienisch, Russisch. Das hat ihn, zusammen mit der Gastfreundschaft der Bauern, gerettet: «In Chianti verbrachte ich ein paar der besten Monate meines Lebens.» Und: «Zum Teil nahm ich einfach Urlaub vom Leben – ich entkam dem Krieg, der selber eine Flucht aus der Wirklichkeit ist.»

Für den Übersetzer Howald, dem wir auch ein umsichtig recherchiertes Porträt von George Orwell (erschienen als Rororo-Monografie) verdanken, war dieses Buch eine Entdeckung. Die Lektüre hat ihn gepackt. Darüber gibt er Auskunft im Nachwort, das auf den «Epilog» des nunmehr 87-jährigen Autors folgt. Schön, dass der vorliegende, mit historischen Fotos ansprechend illustrierte Band die Nachwort-Tradition, die einst die DDR-Literatur mitgeprägt hat, wieder aufleben lässt. Dank dem Nachwort wird diese authentische «Geschichte aus dem Widerstand» auch für die Nachgeborenen verständlich, und das ist in den bösen Berlusconi- und Fini-Zeiten unerlässlich. Wir erfahren, dass Stuart Hood in Nordafrika in Gefangenschaft geraten und dann nach Italien verfrachtet worden war, wo er sich zu den toskanischen Partisanen durchschlug. Nach dem Krieg machte er Karriere bei der BBC, wurde später Romanautor, Hochschuldozent und Übersetzer aus dem Deutschen, Italienischen, Russischen. Unter anderem übertrug er Werke von Erich Fried, Hans Magnus Enzensberger und Dario Fo.

Zu seinem politischen Engagement ist der «unglaublich zurückhaltende» schottische Lehrer, Jahrgang 1915, durch den Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) gekommen. Er hat ihn freilich nur aus der Ferne erlebt. Im Lauf des Zweiten Weltkriegs verabschiedete er sich von der britischen KP, kurze Zeit war er bei der kleinen trotzkistischen WRP, er zog es vor, ein kritischer, heimatloser Linker zu sein, ein eigenständiger, gradliniger Einzelgänger; allein, aber nicht einsam, zu vergleichen mit Weggenossen wie Orwell und Ken Loach. Sehr gerührt hat ihn das Wiedersehen mit den einstigen Kampfgefährten in der Toskana. Seine schottische Nüchternheit machte es ihm zunächst nicht leicht, als Carlino gefeiert zu werden. Angesichts der Gefahr, dass im neumodernen Italien der Widerstand, der den Faschismus besiegt hat, vergessen geht, hat er sich dann aber doch nicht gescheut, die Ehrungen anzunehmen – wie einst das Brot, den Käse, die Zwiebeln und den Wein.

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Ein Bericht über Gefühle und Einsichten

Stefan Howald / Tagesanzeiger / 2.7.02

Der Schotte Stuart Hood ist ein europäischer Kulturvermittler, dessen Werk die Zwangslagen politischen Engagements erkundet. Sein autobiografischer Bericht «Carlino» liegt jetzt auf Deutsch vor.

Von Stefan Howald*

«Im Leben erhalten wir wenig Hilfe von andern. Was wir von ihnen lernen, sind meist Nebensächlichkeiten - Tricks und Fähigkeiten. Aber gelegentlich tauschen wir undeutliche Zeichen aus. Sie sind Versicherungen, dass andere denselben Schwierigkeiten, Problemen, Entscheidungen gegenüberstehen oder gegenübergestanden haben.» Als ein solches Zeichen begründet der schottische Schriftsteller Stuart Hood den autobiografischen Bericht «Carlino» über seine Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg. Der Mensch ist allein und zugleich notwendig gesellig. Auf Hood stiess ich im Oktober 2000 durch einen Hinweis im «Times Literary Supplement», in dem es hiess, nicht viele Autoren hätten je einen Menschen getötet und sich damit in ihrem Werk intensiv auseinander gesetzt. Da der angeführte Titel im Buchhandel vergriffen war, setzte ich mich in die British Library, um das Buch dort zu lesen. Dessen Bedeutung stand für mich nach wenigen Seiten ausser Frage. Sein elegischer Ton hielt mich bis zum Schluss gefangen.

Hoods Rechenschaftsbericht über seine Erfahrungen in der italienischen Resistenza während des Zweiten Weltkriegs ist ein schmaler, knapper Band. Und ist doch ungemein reich an Gefühlen und Einsichten. In lakonischer Prägnanz wird die italienische Landschaft, die bäuerliche Bevölkerung evoziert, werden die Partisanenkämpfe vergegenwärtigt und moralische Entscheidungssituationen reflektiert, die weit über den Anlass des Zweiten Weltkriegs hinausgehen.

Monatelange Lebensbedrohung

Der britische Offizier Stuart Hood geriet in Nordafrika in italienische Kriegsgefangenschaft und wurde nach Norditalien transferiert. Im September 1943 aus dem Kriegsgefangenenlager freigekommen, überquerte er zu Fuss den Apennin und schloss sich italienischen Partisanen an. Gegen deutsche Truppen und italienische faschistische Milizen kämpfte er auf Leben und Tod, sah sich mit möglichem Verrat und deutschen Deserteuren konfrontiert, bis er sich im Sommer 1944 den alliierten Truppen anschliessen konnte, die vom Süden her bis zum Apennin vorgestossen waren.

Die Überquerung des Apennin macht den ersten Teil seines Berichts aus. Halb Flüchtling, halb Tagelöhner, schlägt sich Hood durch eine karge Landschaft, begegnet einer ärmlichen Bauernschaft: «Ich wusste nicht, wie hart das Leben sein konnte, bis ich sah, wie ein alter Mann zu weinen begann, als ihn Kinder neckten, er werde ein Jahrhundert lang leben: ‹Aber ich will nicht leben, ich will sterben.›»

Wochenlang treibt Hood in einem rauen Arkadien dahin, zwischen Plackerei, Müssiggang und Verzweiflung. Bis er ins Netz des Partisanenwiderstands eingebunden wird. Doch die neu gefundene Gemeinschaft bleibt prekär. Nicht nur wegen der lebensgefährlichen Kämpfe, sondern auch durch Bedrohungen von innen. Als sich ihrer Partisaneneinheit, die auf einen nächtlichen Waffenabwurf durch alliierte Flugzeuge wartet, ein fremder Jüngling anschliesst, trifft Hood nach langem Zögern den Entscheid, was mit dem Jungen zu geschehen hat. «Er muss verschwinden. Der Euphemismus des Untergrunds, der heimlichen Mörder. [. . .] Sie erschossen den Jungen, als ich querfeldein hastete, um zu sehen, was vom Waffenabwurf zu retten war. Aus einem Instinkt des Erbarmens heraus versuchten sie es, während er schlief, und senkten den Revolver auf Höhe seines Auges. Aber es folgte nur das Klicken des Hammers auf der Patrone. Durch das Geräusch erwachte er. Uno scherzo, sagten sie, uno scherzo. Er lächelte über den seltsamen Scherz und drehte sich um, um weiterzuschlafen. Beim zweiten Mal gab es ein scharfes Knacken und den Geruch von Angesengtem, als das Mündungsfeuer sein Haar verbrannte. Mit geschlossenen Augen kippte er auf die andere Seite und sagte Madonna. Dann nahm einer einen Karabiner und schoss ihm durch die Stirn. Also war ich nicht dort, als er starb. Ich betrachtete es als Desertion - gegenüber ihm und den andern.»

Solche schmerzhaft zerreissenden Situationen werden kritisch, selbstkritisch beleuchtet. Welche Mittel sind nötig und zulässig, um das Übel des Faschismus zu bekämpfen? Kann der alltägliche Heroismus nicht ohne schmutzige Hände auskommen? Wie die Bauern sehen sich die Partisanen zuweilen auf die bare Existenz zurückgeworfen. Kreatürliche Freude und Trauer durchziehen das Buch.

Das sind grosse Worte. «Carlino» macht sie sinnfällig, anschaulich, im Gleichgewicht zwischen Beschreibung und Reflexion.

Erinnerung aufarbeiten

Erstmals erschienen ist «Carlino» in England 1963. 1985 wurde es neu aufgelegt und ergänzt. Denn die Vergangenheit ist nicht einfach gegeben. Sie muss wiedergewonnen werden. Hood reflektiert bei späteren Besuchen in Italien, wie die eigene Erinnerung nicht der wirklichen Topografie oder dem Rückblick anderer entspricht. Erinnerung ist Arbeit, mit ungewissem Ausgang; und Gedenken ist umstrittene Konstruktion. Als Veteran des Partisanenwiderstands, als Ehrenbürger der italienischen Gemeinde, für deren Freiheit er kämpfte, sieht er sich plötzlich von verschiedenen Parteien umworben.

Hood lebt heute, 87-jährig, in Brighton. Sein Leben nach dem Zweiten Weltkrieg war kaum weniger abwechslungsreich als die Kriegserfahrungen. Ursprünglich als Lehrer ausgebildet, arbeitete er als Journalist, Übersetzer, Filmemacher, Schriftsteller. Er war BBC-Programmverantwortlicher und eine Zeit lang Professor für Filmtheorie.

Vor allem ist Hood ein europäischer Kulturvermittler. Er hat aus dem Deutschen, Italienischen, Französischen und Russischen übersetzt. Er hat Romane von Ernst Jünger, Gedichte von Erich Fried, Essays von Hans Magnus Enzensberger, Stücke von Pier Paolo Pasolini ins Englische übertragen, hat Dario Fo herausgegeben und auf der Bühne als Simultanübersetzer gewirkt - in England zumeist eine brot- und ruhmlose Tat. «Das verhärtete Herz» heisst Hoods Roman über die Bader-Meinhof-Gruppe, aus persönlicher Kenntnis einzelner Protagonisten und in intimer Auseinandersetzung mit der ethischen Problematik geschrieben. Der Titel entstammt einem Gedicht von William Butler Yeats, der als militanter irischer Nationalist nach dem irischen Bürgerkrieg von 1922 seine Position neu bestimmen musste und in seinen «Meditationen in Zeiten des Bürgerkriegs» reflektierte: «Wir haben unser Herz mit Fantasien gemästet, doch ob der Nahrung hat es sich verhärtet . . .» Hood müht sich in seinem Werk gegen diese Verhärtung ab, ohne politisches Engagement und soziale Solidarität preisgeben zu wollen.

* Stefan Howald hat «Carlino» ins Deutsche übersetzt.