Das Wunder von Schondorf

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

144 Seiten

CHF 22.00, EUR 22.00

ISBN: 978-3-85990-032-5


1 Rezension

Ein Hobbyflieger bleibt kläglich auf der andern Seite der Schallmauer gefangen, ein Stabhochspringer erreicht solche Rekordhöhen, dass ihn die Angst vor dem unausweichlichen Sturz packt, ein gewöhnlicher Hund beginnt zum Erstaunen seiner Umgebung zu sprechen, ein Maler wird durch einen Engel in Vagabundengestalt aus seiner Midlife-Crisis errettet – mit solchen und andern ungewöhnlichen Situationen müssen die Protagonisten in Otto Steigers neuem Geschichtenband Das Wunder von Schondorf zurechtkommen. Mit ein paar leichten Federstrichen gibt der Autor dem Alltäglichen eine absurde Dimension und bricht es mit unerwarteten Pointen auf.

Einen Namen hat sich Otto Steiger mit präzisen, realistischen Schilderungen der biederen Schweizer Gesellschaft gemacht, die er mit feiner Ironie und scharfem Blick für „normale“ Lieblosigkeiten porträtiert. Skurrile, unwahrscheinliche Geschichten zu erzählen, ist eine seiner weniger bekannten Seiten. Sein Grundthema, die innere und äussere Begrenztheit in einem Alltag ohne Höhenflüge und die verborgenen Hoffnungen des Durchschnittsmenschen, verlässt er aber auch hier nicht. Der satirische Gehalt der Texte jedoch tritt desto unübersehbarer zu Tage.

Die neu überarbeiteten Kurzgeschichten sind zum grössten Teil in den sechziger und frühen siebziger Jahren entstanden, einer Zeit, die geprägt war vom Glauben an Technik und Fortschritt. Diese Euphorie nimmt der Autor aufs Korn, karikiert und überhöht sie in unmöglichen Begebenheiten und unterläuft sie, indem er ihr – in nachdenklicheren Texten – die Welt der weniger Tüchtigen, weniger Erfolgreichen entgegensetzt. Und indem er spielerisch und in allen Schattierungen das Unfassbare antönt: das Wunder, das geschieht – oder eben ausbleibt.

Rezensionen

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Stille schräge Vögel

Gieri Cavelty / NZZ / 31.10.01

Otto Steigers skurrile Geschichten

Nur scheinbar unscheinbare Geschöpfe bevölkern die Flecken Schondorf, Ebenfeld oder Oerlikon. Sie heissen zwar Schalenbrandt oder Schmalfront, Emil oder Erna; und im Grunde genügt es bei einem solchen Menschenschlag auch, Gänse statt Hühner zu züchten, um als Paradiesvogel zu gelten. - Dagegen schreit kein Hahn danach, dass sich der Geflügelhalter als seine Schwester ausgibt und einen andern braven Bauersmann ehelicht: Schliesslich bleiben die beiden "zurückhaltend und bescheiden. Auch im Bett." Für ebenso wenig Aufsehen sorgen Rudolfs Kapriolen: Der Ärmste hat wohl den aeronautischen Durchbruch hinter sich und sitzt jenseits der Schallmauer fest. Dass er nun bis ans Ende seiner Tage als Tiefflieger über der Kleinstadt kreist, ist für die bodenständigen Mitbürger allerdings bloss insofern von Interesse, als er ihnen als ein "guter Wetteranzeiger" dient. Steht jemandem dann aber doch einmal das Gerede der Leute ins Haus - eine Mietzinserhöhung hilft über derlei Ungemach hinweg. Für eine verständnisvolle Schlummermutter jedenfalls brechen goldene Zeiten an, wenn der Untermieter plötzlich grüne Eier legt. (Übrigens dürfte sich für diese zoologische Sensation ohne weiteres eine plausible Erklärung finden; wie auch ein sprechender Hund kein Wunder ist, sondern ein Tumorpatient, den es schleunigst einzuschläfern gilt.)

Als kritischer Beobachter helvetischen Bieder- wie Geschäftssinns und als Anwalt der Zukurzgekommenen hat sich Otto Steiger bei einer Minderheit der Schweizer Lesenden seit den vierziger Jahren einen guten Namen erschrieben. Nach dem 1999 zeitig zu Steigers 90. Geburtstag veröffentlichten, beeindruckenden Selbstporträt "Ein Stück von mir" wird in Band elf der bei Edition 8 erscheinenden Gesamtausgabe geschickt ein Kontrapunkt gesetzt: Hier präsentiert sich Steiger vornehmlich von einer weitgehend unbekannten, schrägen Seite. "Das Wunder von Schondorf" vereint 20 Kurzgeschichten, die hauptsächlich in den sechziger und siebziger Jahren entstanden und teilweise bereits einmal in Textsammlungen publiziert worden sind. Zwar schimmern in allen doch so realistischen Erzählungen und Romanen Steigers bisweilen skurrile Einfälle hinter den staubtrocken-ironischen Passagen durch. In dem Band "Das Wunder von Schondorf" lässt Steiger freilich alle Hemmungen fahren, und er packt seine Gesellschaftskritik spürbar lustvoll in phantastische Parabeln. Ungeachtet der vielen Schrullen und Absurditäten verlieren die Geschichten dennoch nie den für den Autor typischen stillen Ton und die Schnörkellosigkeit. In diesem Sinne hat zwischen all den schrägen Vögeln auch eine Protagonistin Platz, in deren Leben sich rein nichts ereignet. Ebenso wenig darf man sich wundern, wenn sich ein hässliches Entlein am Ende seiner Geschichte einfach nur als ein Lustmolch entpuppt.

Gewiss turnen in "Das Wunder von Schondorf" keine genialen Barone à la Calvino auf den Bäumen herum, und die Stimmen von Marrakesch klingen weniger faszinierend - echt eidgenössisch eben - als bei einem anderen Ohrenzeugen. Amüsant sind die meisten Geschichten trotzdem, und zum Nachdenken regen sie allesamt an. Da stört es kaum, dass insbesondere die satirischen Texte mit jeder Zeile den Geist ihrer Entstehungszeit atmen.

Gieri Cavelty