Lacrima

Der Ricovero dei poeti ist ein altmodisches Bistro in einer Provinzstadt und wird hauptsächlich von einer Gruppe Stammkunden besucht. Da sind zum Beispiel der Buchhändler Claudio und die Bücherdiebin Mari Ann. Giano beantwortet unter falschem Namen die Leserbriefe für eine namhafte Zeitschrift, und der Mittelschullehrer Abel steht zwar kurz vor der Pensionierung, wird aber immer noch von einigen Schülerinnen umschwärmt. Die Kellnerin Ute beobachtet tagsüber ihre Gäste und schreibt nachts Tagebuch. Nichts entgeht ihr, weder die Magersucht Mari Anns noch Claudios Neigung zum Selbstmitleid, die zwei Seiten der Persönlichkeit Gianos oder die unnahbare Art Abels.

Täglich kreuzen sich die Lebensgeschichten, begegnen sich die verschiedenen Protagonisten im Ricovero dei poeti wie auf einer Bühne, jeder zu seiner Zeit, mit seinen Angewohnheiten. Doch ein paar wenige Herbsttage reichen aus, um diesen Rhythmus, die täglich gleichen Gesten und Rituale zu erschüttern. „Lacrima“ ist die unprätentiös erzählte Geschichte dieser Erschütterung und porträtiert die Gruppe der Protagonisten in einem kritischen Moment ihres Lebens.

"Ein Vulkan, der feurig heisse Lebensgeschichten ausspuckt"
Tanja Kummer, DRS 3 vom 3.5.12

Rezensionen

Die Brüchigkeit des Seins

Tessiner Zeitung / 2.3.07

Die Figuren dieser Geschichte habe eines gemeinsam - sie alle verkehren in einer kleinen, etwas angestaubten Bar namens "Ricovero dei poeti" (Dichterhospiz) gleich unterhalb der Kathedrale von Lugano. Und noch etwas haben sie gemeinsam: Die Gebrochenheit oder vielleicht besser Brüchigkeit ihres Lebens. Sie alle sind allein stehend und ihr Dasein befindet sich in vager Schwebe, bedroht vom endgültigen Absturz, aber auch gehalten von der Möglichkeit des Aufbruchs in eine bessere Zukunft. Es ist diese Ambivalenz, welche die an sich ereignisarme Geschichte zur fesselnden Lektüre macht und den Leser den verschiedenen Protagonisten mit wachsendem Interesse folgen lässt, so etwa der deutschen Kellnerin Ute "mit der Engstirnigkeit und Präzision eines Racheengels", dem vereinsamenden Claudio, der in seiner Buchhandlung "Malatempora" mit seinem perspektivlosen Leben hadert, dem distinguierten Literaturprofessor Abel, den ein Kleinkrieg mit einem Berufskollegen und amouröse Zuneigung zu einer Schülerin umtreiben oder der magersüchtigen Mari Ann, die sich der Welt wie auch dem eigenen Körper verweigert. Der Gewichtigste aber, der verkrachte Journalist Giano, sei hier auserwählt und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in einem Textausschnitt näher gebracht.