Nicht minder beiläufig

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

208 Seiten

CHF 22.00, EUR 22.00

ISBN: 978-3-85990-098-1


1 Rezension

„… Ein toter Mensch versuchte dadurch, dass er ein wenig verschwitzt war und zugleich kalt wurde und gebrochene Augen bekam, zu erzählen, wie es war zu leben oder wie es gewesen war. Marugg konnte förmlich zusehen, wie der Daliegende kalt wurde, wie er Stück für Stück sein Leben ablegte. Scheisse, dachte Marugg. Scheisse, Scheisse, Scheisse.“

So heisst es irgendwo im Text. Eben noch schien alles nebeneinander möglich: Beruf, Gesundheit, Ehe. Aber plötzlich ist für den bald sechzigjährigen Detektivwachtmeister Marugg nichts mehr selbstverständlich. Unübersehbar beginnen die Sicherheiten des Lebens zu bröckeln: Die Ehe funktioniert nicht mehr, in der Arbeit kommt er mit dem neuen Führungsstil und den modernen Arbeitsmethoden nicht zurecht, nach einem Doppelmord veranstaltet die Boulevardpresse eine Hatz auf ihn, und mit dem Pissen ist es hoffnungslos. Kurz, der Gegenwart ist kaum mehr zu trauen.

Die Art von Maruggs Beobachten, seine Blickführung und sein Befinden muten uralt vertraut an, sofern man es erzählen kann. Sich durchbeissen und immer wieder Schläge einstecken – das erkennt er als den einzigen Weg und giesst die Gegenwart ein in das unabänderliche Es war einmal. Weil er aber weiter nach Liebe, Hoffnung und Geborgenheit sucht, verliert er nicht all seinen Optimismus. Markus Moors Roman erzählt Geschichten von den Grenzen und den Grenzerfahrungen eines Alltags.

Rezensionen

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Zum "Aneluege" gezwungen

Yvonne Brogle / Mittelland Zeitung / 11.11.05

Aargauer Schriftsteller Markus Moor zeigt sich in "Nicht minder beiläufig" als brillanter Erzähler. Er erhielt für seinen Roman den Werkpreis des Kuratoriums.

Im ehemaligen Cenovis-Fabrikgebäude in Rheinfelden, neben stillgelegten Gleisen, befindet sich das Büro des Schriftstellers Markus Moor. Hier verbringt er die Zeiten, die er seinen Romanfiguren widmet. Hier erweckt er sie zum Leben, lässt sie manchmal auch wieder sterben, verleiht ihnen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

"Ich brauche diesen Raum ausserhalb meiner Wohnung. Hier kann ich ungestört abtauchen in eine innere Welt, um meine Darsteller weiterzubegleiten. Hier möchte ich ihnen auf die Schliche kommen. Es ist wie tägliches Üben mit der Melodie der Sprache. Mein Handwerk bedeutet für mich ein Auseinandersetzen mit dem Leben. Ich spiele mit Worten, bis sie reif genug sind, das auszudrücken, urn was es mir geht. Es ist ein Jonglieren mit Inhalten und Sätzen."

ALS WIR UNS zum Gespräch über seinen neuen Roman trafen, strahlte die klare Herbstsonne durch die JaIousien der hohen Fabrikfenster und verlieh dem Raum fast etwas Mystisches. Da, wo früher die Würzpaste Cenovis hergestellt wurde, schreibt Moor jetzt seine tiefgründigen und ebenso würzigen Geschichten von den Grenzen und Grenzerfahrungen des Alltäglichen. Zusammengenommen ergeben sie "eine Art Kriminalroman", wie es auf dem Buchdeckel seines neusten Werkes steht. "Nicht minder beiläufig" ist der zweite Roman, bei dem Detektiv-Wachtmeister Marugg als Hauptdarsteller fungiert. Für die ersten hundert Manuskriptseiten von "Nicht minder beiläufig" erhielt Moor vor zwei Jahren den Förderpreis des Aargauer Kuratoriums. Jetzt, nach Beendigung seines spannenden Werkes, folgte verdienterweise noch der Werkpreis des Kuratoriums.

Moor hat diesmal zwei verzwickte Mordfälle zu lösen und dabei ist er doch eigentlich vollauf mit sich selbst beschäftigt. lrgendwie "verreckt" ihm momentan alles in seinem persönlichen Leben. Eben schien die Welt noch in Ordnung bei dem bald sechzigjährigen Gian Marugg. Aber plötzlich beginnen die Sicherheiten des Lebens zu bröckeln: Die Ehe funktioniert nicht mehr, in der Arbeit kommt er mit dem neuen Führungsstil nicht zurecht, die Boulevardpresse veranstaltet eine Hatz auf ihn und auch gesundheitliche Beschwerden stören den gewohnten Ablauf seines Lebens.

Markus Moor (49) versteht es, den Leser einzubeziehen sowohl in Maruggs Beobachtungen wie auch in seine derzeitige beklemmende Befindlichkeit. Die Aufmerksamkeit des Lesers wird immer wieder zurückgeholt, zum Beispiel durch fantasievolle Wortkreationen oder abgebrochene Sätze, die ein Weiterdenken zwingend fordern.

Noch während wir über das Entstehen des zweihundertseitigen Romans sprechen, spüre ich, dass Gian Marugg sich in seiner imaginären Form dazugesellt hat. Irgendwie bekommt der Zürcher Polizist mit den tiefen Wurzeln im Bergell ein Eigenleben. Er ist eine menschliche, sympathische Figur, vielleicht etwas bieder, aber keineswegs durchschnittlich. Trotzdem er immer wieder Schläge hat einstecken müssen, verliert er nie den Optimismus und sucht weiter nach Geborgenheit und Liebe. Es ist, als wenn er uns beim Gespräch beobachtet. Vermutlich ist er sogar etwas belustigt, dass er im Mittelpunkt steht und so viel Aufheben um ihn gemacht wird. Vielleicht ist er aber auch auf seine zurückhaltende, behäbige Art ein bisschen stolz darüber.

DER SCHRIFTSTELLER erklärt: "Wahrscheinlich ist Marugg eine verborgene Seite von mir, zwar einige Jahre älter, aber genau so neugierig. Er muss wie ich die Hintergründe einer Geschichte kennen lernen. Marugg wendet sich nicht ab, er will 'aneluege'. Er ist für mich Realität geworden, zwingt mich, den Dingen nachzugehen. Auch wenn es für mich bedeutete, zu Recherchezwecken die Pathologische Abteilung in der Uni Basel zu besuchen, um Genaueres über den toten Körper im Allgemeinen und über Wasserleichen im Speziellen zu lernen."

Etwa fünf Jahre hat Moor an seinem neuen Roman geschrieben und manchmal einige Wochen für ein einziges Kapitel gebraucht, bis er damit zufrieden war. "Oft hat das Geschehen im Manuskript eine ganz andere Wendung genommen, als ich erst wollte. Eine der Grundfragen, die mich immer wieder umtrieben, war: Was wäre, wenn? So habe ich immer wieder den Hauptweg des Erzählens verlassen und geschaut, wohin er mich bringt. Wichtig war mir dann, den roten Faden wieder zu finden. Ich bin gespannt, wohin mich Gian Marugg im dritten Buch noch überall hinbringt", sinniert Markus Moor.