Solange ihr Knie wippt

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

120 Seiten

CHF 20.00, EUR 20.00

ISBN: 978-3-85990-041-7


6 Rezensionen

„Poesie. Dass ich nicht lache.
Die Welt dreht sich. Ich werde mich erinnern müssen an die Gewissheit an all die Kontraste. Glas. Glimmer. Glut.“

„So viele Schichten von Verlust. Einzig dein Wort fasst sich eine Hand. (Nicht doch. Ich werde dir Leben beibringen.)
Stoff spannt. Fliesst um die Hüften. Blut schiesst durch die Adern. Vergiss nicht dass ich lache. Dass ich nicht lache.“

Hell, heiter, luftig kommt Brigitte Fuchs‘ Lyrik daher – und zieht uns den Boden unter den Füssen weg. Verführt durch eine Poesie, die den Reiz des Augenblicks beschwört, lassen wir uns ein und greifen ins Unfassbare, finden uns nach überraschenden Wendungen in anderen – offeneren – Räumen wieder. „Selbst von den starren Dingen lässt sich kein klares Bild machen…“ Auf das Ungewisse, das Instabile, auf alles, was sich dem Zugriff entzieht, richtet Brigitte Fuchs ihr primäres Interesse.

Trotzdem ist uns ihre Welt vertraut. Sie findet ihre Vorlagen in unserem scheinbar so fest gefügten Alltag. Da behauptet sich die Wäschespinne neben dem Windrad, das Rasenviereck neben den Zimmerpflanzen. Doch mit geringfügigen Verschiebungen lässt Brigitte Fuchs diese banale Wirklichkeit flimmern und verleiht ihr Zauber und Irritation.

Als „Meisterin des Auslassens, der wohlkalkulierten Pause, des lyrischen Understatements und des Sprach-Intervalls“ bezeichnete der Journalist Klaus Hartig, Meran, die Lyrikerin, und Peter Surber, Feuilletonredaktor beim St. Galler Tagblatt, schrieb über ihre Gedichte: „Sie fassen das Unscheinbare (ein morgendliches Aufstehen, eine Landschaft) in schlackenlos reine Bilder und riskieren ebenso die grossen Lebensthemen mit gelassenem Ernst.“

Rezensionen

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Laudatio zur Vernissage

Erwin Messmer / 25.9.02

Von Erwin Messmer, Schriftsteller, Musiker, Musiklehrer

Liebe Brigitte, liebe Frau Moser von der Bibliothek, liebe Frau Stettler von der edition 8, liebe Elinane Zweifel an der Harfe, liebe Gäste, meine sehr verehrten Damen und Herren

Nichts lässt sich sagen über das Blau. Wir sind heute abend zusammengekommen, um uns mit solchen und ähnlichen Aussagen auseinanderzusetzten. Nachdem wir vernommen haben, dass sich über das Blau nichts sagen lässt, lesen wir weiter. Jeden Abend waschen wir den Geruch / der Kindheit von den Füssen. Wo bleibt hier die Logik, wo der sinnverbindende Kontext, wird sich der Philister fragen. Wir dürfen seine möglichen Reaktionen nicht ausser Acht lassen, denn wer weiss, vielleicht sitzt er ja mitten unter uns! Im weiteren Verlauf des Gedichts ist nur noch von der Farbe Gelb die Rede. Offenbar lässt sich über sie, ganz im Gegensatz zur Farbe Blau, doch einiges aussagen. Zum Bespiel, dass sie Nerudas Vogel zustehe, der das Nest mit Zitronen fülle. Der Philister ist in seiner Ratlosigkeit am Rande eines Nervenzusammenbruchs angelangt. Den Schluss des Gedichtes kann er mit knapper Not nur noch überfliegen. Und merkt dabei nicht, dass die Farbe Blau nun plötzlich doch noch angesprochen wird, wenn auch nur indirekt, ohne beim Namen genannt zu werden (denn nichts, wie gesagt, lässt sich sagen über das Blau): (...) Noch die in der / Luft vergrabene Hand schöpft Wasser aus / dem Meer. Nuancen. Nein, das interessiert unseren Mann nun wirklich nicht mehr. In seinen Gedanken ist er ganz woanders. Er wird einen Brief an die edition 8 schreiben und darin protestieren gegen den Zerfall von Begriff, Logik und Ordnung. Er wird sein Geld, das er beim Erstehen des Büchleins ausgab, zurückfordern und für die Umtriebe, die ihm der missglückte Ausflug in die Welt der Poesie beschert hat, Schadenersatz verlangen.

Aber jetzt ganz im Ernst: Tatsächlich hatte sich der Philister einmal persönlich bei der Kulturkommission Buchs mit einem Brief gemeldet, in dem er sich bitter beklagte über die unverständlichen Textgebilde, die unter den Begriff zeitgenössische Lyrik subsumiert werden, und insbesondere über einen Text von Brigitte Fuchs. Er erteilte der Kulturkommission Ratschläge, was in Zukunft zu tun und was zu lassen sei. In dem gemassregelten Text ging es übrigens nicht ums Blau, sondern um die Farbe Grün, eine Farbe also, die in der zeitgenössischen Poesie Tradition hat. Schon Federico Garcia Lorca hat in seinem Gedicht Somnambule Romanze die leitmotivische Verszeile geprägt: Verde que te quiero verde (Grün wie ich dich liebe, Grün).

Um hier einem Missverständnis vorzubeugen: Brigitte Fuchs schreibt nicht nur über Farben, aber ihre Gedichte sind immer farbig, und sie duften wie Gärten. Suchbild mit Garten, ihr letzter Gedichtband, macht diese Art, sich schreibend die Welt anzueignen, schon im Titel zum Programm. Aber eben: nicht nur Garten, auch Suchbild. Der staunende Betrachter eines Gartens versteht von diesem auf Anhieb nur wenig. Er lässt sich erst mal überwältigen von Fülle und Details, dann macht er sich auf die Suche. Bei genauem Betrachten wird er auf einiges stossen, das er schon kennt, jedoch in dieser Anordnung und Mischung noch nie gesehen hat. Anderes ist neu, erstmalig. Im Gegensatz zum Enzyklopädisten, der damit beginnt, eine genaue Bestandesaufnahme der Blumen, Sträucher und Bäume anzulegen, steht der wirkliche Leser im Begriff, stückweise das Geheimnis dieses Gartens aufzuspüren. Und dabei ist jedes Gedicht ein Garten für sich und zugleich Teil eines Gesamtgartens, eben der lyrischen Gartenlandschaft der Brigitte Fuchs. Es ist, um ein Wort Egon Friedells aus seiner (immer noch verblüffend frischen und aktuellen) Kulturgeschichte der Neuzeit (erschienen 1927) zu verwenden, ein solcher bewusster Wille zum Fragment und Ausschnitt, Akt und Torso, Stückwerk und Bruchwerk jeder Darstellung, welcher diese Gedichte auszeichnet. Denn Kunst ist, wie Friedell definiert und Brigitte Fuchs, wahrscheinlich in Unkenntnis dieser Definition, dichterisch umgesetzt hat, Kunst ist subjektive und parteiische Bevorzugung gewisser Wirklichkeitselemente vor anderen, ist Auswahl und Umstellung, Schatten? und Lichtverteilung, Auslassung und Unterstreichung, Dämpfer und Drücker.

Wie gut, dass es neben dem Philister auch noch die wirkliche Leserin, den offenherzigen Leser gibt. Hans Falk, der renommierte Graphiker und Maler, als Maler wohl der bedeutendste Vertreter der Peinture informelle, Falk, der im Frühling dieses Jahres, hochbetagt, leider verstorben ist, war ein solcher wirklicher Leser. Ihre Gedichte wollte ich riechen, umschlagen, Seite um Seite geniessen, schrieb er an Brigitte Fuchs. Und weiter: Haben Sie eine wundervolle Sprache, zu deuten, zu zeigen, was im Dunkeln Ihrer Beobachtungen keimt und so herrlich formt. - Ich lese immer wieder, komme im Fortschreiten zum Anfang, werde ruhig und lese - wie über eine unendlich lange Treppe. Ich danke Ihnen, liebe Brigitte Fuchs, für das Schöne, Gute, Wunderbare, Wahre (..).

Ja, der Künstler, insbesondere der auch dichterisch so begabte Hans Falk (man lese nur die selbst verfassten Kommentare in seinen seinen Skizzenbüchern!) vermögen offenbar so ruhig wie mühelos einzudringen in die Geheimnisse solcher Texte. Aber es ist auch möglich, dass der unvoreingenommene Leser bei der Lektüre selber zur Künstlerin wird. Und dies erweist sich bei der Lektüre von Brigitte Fuchs' Gedichten auch als unerlässlich.

Das sinnliche Leben und Erleben ereignet sich in Bildern, nicht in Begriffen, sagt der bedeutende deutsche Lyriker und Essayist Hans Jürgen Heise in einem Interview, und in seinem Vortrag Eigentlich geht das Gedicht viele an bringt er das Wesen des Gedichts mit dem an Prägnanz nicht zu überbietenden Satz auf den Punkt: Im Gedicht ist alles möglich. Auch das Gegenteil.

Kein Satz würde sich besser eignen als Motto zu Brigitte Fuchs' Lyrik. Ihre Texte verweigern sich dem Argument, der Begründung, der Erklärung. Sie belehren uns in keiner Weise. Auch wenn es an suggestiven Anweisungen, Willenskundgebungen und Aufforderungen nicht mangelt. In diesen Texten wird nicht mit Begriffen gearbeitet, sondern mit Bildern, Assoziationen, überraschenden Überlagerungen bewusster und unterbewusster Erlebnisströme. Ganz im Sinne von Heise der festhält: Begriffe sind Transportmittel von Gedanken, Metaphern hingegen Vokabeln des Gefühls. Und dieser Definition Heises möchte ich nahtlos den wunderbaren Satz von Brigitte Fuchs, wie wir ihn in Suchbild mit Garten finden, folgen lassen: Gedichte sind Ansichtskarten der Imagination.

Dabei arbeitet die Dichterin auch streng und kompromisslos mit der Gartenschere. Es sind keine wildwuchernden Textgebilde, die uns da begegnen, sondern dichte, diszipliniert aufs Wesentliche zurückgestutzte Texte. Die Problematik des Worts, die Schwierigkeit, mit seiner Hilfe diese Ansichtskarten der Imagination zu entwerfen, diese latente Spannung zieht sich wie ein roter Faden thematisch und durchaus begrifflich durch die nunmehr 5 Gedichtbände. Eine Zunge, die nach Wörtern schmeckt - dieses und die folgenden Zitate stammen alle aus Suchbild mit Garten - wird in diesem Werk ebenso gewichtet wie das Wort, das dem lyrischen Ich unsagbar an den Wimpern (hängt), die Leerräume in den Gedichten, die unbewohnten Ländereien korrespondieren in dialektischer Weise mit den Zeilen, die alle winterfest gesetzt (sind). Und immer ist da die Furcht vor dem falschen Wort. Aber es gelingt diesen Gedichten, im Gegensatz zu vielen geschwätzigen lyrischen Gebilden unserer Tage, die Disziplin zu wahren: Wohl hätte ich Lust / mich ins Kreischen der Vögel / zu mischen und hätte auch /Stimme genug. - Hätte. Aber das gute Gedicht ist eben etwas anderes, etwas Ärmeres. Die Gartenschere verrichtet ihre Arbeit in vorbildlicher Weise. Nicht zuletzt in dieser Dichte und Aussparung liegt der unerschöpfliche Reiz solcher Texte. Und auch darin, dass bei aller Aussparung kein stumpfer Bierernst entsteht. Das Augenzwinkernde eines gleissenden Sommertages, der unterschwellige Humor, die abrupten Szenen- und Stimmungswechsel innerhalb von wenigen Zeilen, die Sprünge und akustischen Saltomortale, wie sie auch im Gesang der Vögel schon am frühen Morgen zu vernehmen sind, ziehen sich nichts desto trotz durch die Seiten und halten uns bei aller Nachdenklichkeit, auch im Winter, bei bester Laune.

Ich weiss nicht, ob wir ihn mit solchen Argumenten überzeugen können, unseren guten Philister doch rufen wir ihm, bevor wir ihn in seine Welt der geordneten Begriffe, der Milchmädchenrechnungen des Alltags entlassen, nochmals in Erinnerung, was ihm Brigitte Fuchs persönlich in einem Antwortschreiben auf seine Schelte ans Herz gelegt hat: Ein heutiges Gedicht will und darf nicht mehr mit der traditionellen Literatur, welche im wesentlichen in einem ungebrochenen Weltvertrauen wurzelte, verglichen werden. Heutige Lyrik will nicht erbauen, trösten oder etwas veredeln, sie will nicht einfach Wirklichkeit abbilden, sondern vielmehr eine neue Wirklichkeit schaffen, die zum Denken und Nachschaffen anregt (..) Das äussert sich denn auch in der Form: kaum noch regelmässige Strophen, kein herkömmliches Versmass, (fast) keine Reime. (..) Manche Leser werden vor den Kopf gestossen. Dabei kann die anfängliche Irritation durchaus auch in Begeisterung umschlagen, dann nämlich, wenn der Text beim Leser oder der Leserin etwas in Bewegung setzt, etwas anrührt, ihn oder sie anregt zu einem Nachdenken über sich, über die Welt oder über "die endlosen Möglichkeiten der Poesie" (Goethe).

Es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle auch den Entwicklungsgang der Lyrikerin Brigitte Fuchs wenigstens andeutungsweise zu skizzieren. Zum besseren Verständnis des Folgenden aber möchte ich hier meine Rede kurz unterbrechen und ihnen zwei frühe Fuchs-Gedichte vorlesen, die beide im Erstling "An und für sich" zu finden sind:
Es ist Frühling / Es ist Frühling / ich spüre es. / Ich möchte dein Lachen / zu Sträussen binden / und deinen Duft / in Gläser füllen. / Ich möchte deinen Kuss / ins Knopfloch stecken / und in deiner Umarmung / Nester bauen. / Ich möchte von deiner Begeisterung / Zweige schneiden / und mit deinem Optimismus / meine Seele düngen. / Ich möchte deine Begierde / zu Haufen rechen / und ein Treibhaus bauen / um deine Lust. / Es ist Frühling / ich spüre es. / Ich möchte unsere Liebe / in Erde pflanzen / und zusehen / wie sie gedeiht.

Und noch das andere Gedicht:
Flut / So viel Gefühl / für mich / auf deinen Lippen / und deine Hände / nehmen mich in sich bis meine Haut / in Flaum und Seide / schwimmt / und jede Woge mich erneut / an deine Ufer wirft und meine Sinne / schwinden.

Das berühmte Sprichwort, gemäss welchem noch kein Künstler vom Himmel gefallen sei, lässt sich erweiternd auch anwenden auf jedes Individuum: Es ist noch kein erwachsener Mensch vom Himmel gefallen. Und auch die Menschheit, ihre Zivilisation und Kultur, so wie sie sich uns heute darstellt, ist schliesslich Zwischenstation einer unendlich langen, kontinuierlichen Entwicklung. In jedem werdenden Menschen wiederholen sich die Entwicklungsstufen der gesamten Menschheit. Den japsenden, kaum artikulierten Lauten des Neugeborenen folgen die ersten Wörter, dann die Sätze. Das frühe Lächeln wird mit der Zeit durch das bewusste Lachen abgelöst. Nach der Muttermilch, die das kleine hilflose Wesen in die Nähe des Säugetiers rückt, wird langsam auf Brei und dann auf festere Speisen umgestellt. Und was für ein jahrtausendelanger Prozess ging schliesslich der ersten Flasche Coca Cola voraus, mit der die Menschheit konfrontiert wurde. Diese unerhörte Entwicklung wiederholt sich in jedem individuellen Leben. Wir wollen hier nicht länger dieses braune amerikanische Gesöff bemühen, an dem wohl jedes Kind irgendwann zum ersten Mal nippt, sondern die ersten Buchstaben, die ersten Sätze, den Aufsatz in der dritten Klasse, die schriftliche Deutscharbeit für die Matura. Und bei manchen Leuten ist das erste Gedicht von grosser Bedeutung: ein vorläufiger Höhepunkt.

Ich kenne Brigittes erstes Gedicht nicht. Aber ich habe ihre ersten beiden Lyrikpublikationen gelesen. Ihren Erstling An und für sich - erst zu spät, nämlich nach Erscheinen des Buches, fiel ihr der noch bessere Titel ein, nämlich An und für dich (denn das Buch ist ihrem Mann, Paul, gewidmet) - dann auch ihre zweite, in Stil und Gestus ähnliche Publikation: Herzschlagzeilen.

In diesen Texten begegnen wir einer jungen Frau, die ihre Gefühle, Alltagserlebnisse, Freuden, Ängste und Sehnsüchte in offene, durchaus zeitgenössische Versform zu bannen weiss. Es sind bereits gelungene, poetische, sorgfältig ausgearbeitete Texte, und manche von ihnen verraten schon die unverwechselbare Handschrift der späteren Lyrikerin. In ihnen durchschreitet die fortgeschrittene Debütantin, wie jede junge Künstlerpersönlichkeit, nochmals den Weg der Geschichte der Poesie ab, auf individuelle und zunehmend originellere Weise. Was für ein Ereignis z.B. ist die Entdeckung der unverbrauchten Metapher, wie sie in Es ist Frühling gefeiert wird! Hier wurde das alte Stilmittel der Metapher gerade nochmals neu erfunden. Dieses Gedicht ist für mich nach wie vor eines der allerschönsten Liebesgedichte, die ich je gelesen habe. Oder nehmen Sie den Text Flut, ebenfalls aus dem Erstling! Ist das nicht ein wunderbares Gedicht? Auch wenn es ebenso gut fünfzig Jahre früher, beispielsweise von Else Lasker Schüler, hätte geschrieben sein können!

Was ich damit sagen will: Brigitte Fuchs musste weiter. Sehr zum Bedauern unseres Philisters, auf den ich hier, hoffentlich zum letzten Mal, nochmals zurückkommen darf. Er hat sich gerne festgeklammert an den klaren Aussagen, die, bei allem poetischen Schimmer und Zauber in diesen frühen Texten, immer mitgegeben waren. Wenn es im zweiten Band, Herzschlagzeilen, unter dem Titel Übereinkunft heisst: Komm mir / nicht zu nahe / stell deine Schuhe / vor die offene Tür / und merk dir / den Weg / der zu dir / zurückführt - dann konnte er den Gedankengang, trotz des unverbrauchten Bildes der Schuhe vor der offenen Tür, quasi eins zu eins nehmen, wie die Sätze des Nachrichtensprechers mittags bei der Suppe um halb eins. Das gefiel ihm. Aber Brigitte Fuchs hatte ihren Ton, ihre ureigene lyrische Sprache noch nicht vollends erobert. Sie entwickelte sich, analog zur Poesie, wie wir sie geschichtlich durch die Epochen verfolgen können, weiter. Mit ihrem dritten Gedichtband Das Blaue vom Himmel oder ich lebe jetzt war sie plötzlich in der Moderne, in ihrer schriftstellerischen Jetztzeit angelangt. Hochauf werfe ich / meine rhythmische Saat / mein rhythmisches / Freiheitslied ruft die am Ziel, nämlich in der poetischen Gegenwart angekommene Autorin enthusiastisch aus im Gedicht Sterntaler. Und in ihrem vierten Gedichtband, im bereits zitierten Suchbild mit Garten, formuliert sie das folgende poetische Programm: Herumsehen - ohne die Begleitung der Augen / Warten, bis die Ideen zutraulich werden. / Sich nicht festlegen: Die Assoziationen freilassen - Wörter streuen für sie und Farben.

Liebe Brigitte, meine Damen und Herren, damit sind wir beim 5. Gedichtband angelangt, froh und erwartungsvoll, gleichsam mit wippendem Knie. Diesen Gedichtband gilt es heute zu feiern. Gleich wird uns die Gärtnerin dieser sprachlichen Mikrokosmen in sie entführen. Es sind wieder neue Gärten, kein Fuchs bleibt stehen, und auch die Fuchs nicht. Sie hat zwar ihren unverwechselbaren Ton gefunden, aber sie entwickelt ihn weiter. Es würde den Rahmen dieser kleinen Festrede sprengen, darauf weiter einzugehen. Nur soviel: auch diese neuen Gedichte zählen auf unsere Mitarbeit. Wir sind eingeladen zum Suchen, zum Entdecken, zum Weiterfühlen und zum Weiterkombinieren. Bitte die Anlagen betreten! heisst es da bei jedem Gartenbeet, bei jeder Wortrabatte. Wir werden mit diesen Gedichten nicht fertig werden, und darum lohnt es sich, auch finanziell, das Buch zu kaufen. Es ist ein Buch fürs Leben, und gemessen daran erhalten wir es von der edition 8 zu einem Spottpreis. Es sind gute Gedichte, so wie diese Qualifikation von der Autorin selbst verstanden wird, die in ihrem Essay Poesie im Programm - es besteht in einer alphabetischen Auflistung von Stichwörtern zur Poesie - unter dem Buchstaben Y folgendes vermerkt:
Y wie Yo-Yo: Yo-Yo ist ein amerikanisches Geschicklichkeitsspiel mit elastischer Schnur und daran sich auf- und abwickelnder Holzscheibe. Mir scheint die Yo-Yo Scheibe eine Metapher zu sein für die Qualität von Gedichten. Während ein schlechtes Gedicht nach einmaligem Lesen schlaff und unbeweglich an der Schnur hängt - alles ist gesagt, nicht der leiseste Rest an Spannung oder Mehrdeutigkeit bleibt zurück, - lässt sich das gute Gedicht wieder und wieder lesen, es bleibt ständig und immer wieder anders in Bewegung, ihm haftet etwas Geheimnisvolles an, etwas, das einen von Mal zu Mal unwiderstehlich in seinen Bann zieht.

Liebe Brigitte, nimm nun Dein Yo-Yo hervor und lies uns vor!
Und Sie, meine Damen und Herren, brauchen, während uns die Harfenklänge von Eliane Zweifel auf das Ereignis einstimmen, nur die Hand auszustrecken, und dann beginnt etwas zu singen, so wie Brigitte Fuchs es in ihrem kurzen Gedicht Glück, einem der schönsten im Suchbild mit Garten, skizziert hat:

Glück
Etwas geschieht
nimmt Gestalt an
ich strecke die Hand aus
und es singt

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Gedicht der Woche

Hannes Schmid / Mittelland-Zeitung / 12.10.02

Dabei wird es nicht bleiben

Haus an Haus an Haus und was da
noch dazugehört ein Stück Binnenland
Golf und Wassergräben Magazine die
alle Arten von Körpern zeigen Eiswürfel
Ebenholz Blut und Schnee der auf
die Häuser fällt.

Dabei wird es nicht bleiben Inseln sind
vorgesehen und Zedern die Rückkehr der
Jäger neu ausgestattet mit Waffen und
Urlaubsgeld einzigartige Freunde die im
letzten Sommer des Jahrtausends leicht
vom Himmel springen.

Brigitte Fuchs

Es geht um Atmosphäre, um die Bilder, die wir aufnehmen, um die Gewissheit, dass die Dinge sich täglich, stündlich im Kreise drehen. Die Charakterisierung der globalen Kultur als angeblich zeitlos und erinnerungslos und unendlich langweilig. Haus an Haus an Haus wie im Ferienprospekt. Ein Kiosk wie der andere und auf allen Titelblättern diese immer gleichen Körper, diese Models, die, magersüchtig, ohne Körper, bald wie Eiswürfel dahinschmelzen.

Und dabei wird es nicht bleiben. Menschen suchen sich immer neue Inseln, voller Hoffnung, einen Rest an Kultur zu finden. Jäger dieser Zeit. Das Jagdgebiet ist unendlich weit, flugweit, flugsicher zu erreichen ohne die Proteste der Ökogemeinden. An die Standardisierung jener Lebensformen, wo Freunde so leicht, ach so leicht, vom Himmel springen, haben wir uns gewöhnt. Kulturverlust, leichthin akzeptiert wie die Dopingsünden des Sportlers.

Bilder. Brigitte Fuchs schreibt mit Bildern, die randlos Eingang suchen. Früher waren es die "Herzschlagzeilen", heute ist es die Konstruktion von Atmosphäre, die in unsere Köpfe dringt, die Fragen aufwirft. Aber dabei wird es nicht bleiben, natürlich nicht. Fragen haben kaum je zu endgültigen Antworten gefunden und "DerTraum vom menschlich Gemässen ist nirgends zage ...", lässt die Autorin den Philosophen Ernst Bloch zum Auftakt ihres Gedichtbandes sagen.

Im neuen Bändchen "Solange ihr Knie wippt" sind nicht die lyrischen Elemente vorherrschend. Es sind hier knappe, in Prosa gehaltene Texte, die uns zwar heiter begegnen, aber letztlich doch ganz schön im Schatten sitzen lassen. Die Aargauerin Brigitte Fuchs schreibt seit vielen Jahren Gedichte und ist mehrmals ausgezeichnet worden. Und auch in diesem Band finden wir wieder sehr viel Tiefe, die in diesen Texten wohnt, so etwa im letzten Gedicht des Bändchens, das sie wohl auch aus Ironie und wenig Zufälligkeit mit "Endspiel" betitelt.

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Augenblicksbilder

Urs Bugmann / Neue Luzerner Zeitung / 10.12.02

Vom Naheliegenden, von unmittelbarer Wahrnehmung gehen die Gedichte der 1951 in Widnau geborenen Brigitte Fuchs aus. Doch was sie herbeirufen an Konkretem, an Atmosphären und Stimmungen, ist nur der Ausgangspunkt zu einer Gedankenlyrik, die es fertig bringt, mit Leichtigkeit vom Gegenständlichen wegzukommen, zu reflektieren über Leben, Befindlichkeit und Wahrnehmung; darüber, was es heisst, in Gesellschaft zu sein oder einsam, wie man sich seinen Ort in der Welt erkundet.

"Die Sätze einer vor dem anderen.
Die Ellbogen gegen den Wind.
Selbst von den starren Dingen
lässt sich kein klares Bild machen.
Auf dem Laufsteg der Worte mit
anderen Worten.
Jedes hat mit
uns zu tun.
Siehst du. Und fällt"

So steht es in dem Gedicht "Aus keiner Höhe", das ein Beispiel gibt, wie Brigitte Fuchs Erhellung aus unvermuteten Zusammenhängen gewinnt, wie sie Disparates zusammenbringt und über solch ungewöhnliche Zusammenklänge hinaus sichtbar macht, was es heissen kann, über das Gewohnte und Erstarrte hinauszukommen.

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Heitere Lyrik

Salzburger Nachrichten / 15.3.03

Lyrik ist eine heitere Angelegenheit. Die Schweizerin Brigitte Fuchs geht wie eine verwöhnte Prinzessin vor. Sie holt sich die Wörter aus dem Sack, besieht sich das eine wie das andere und klopft sie auf ihre Bedeutung ab. Warum, so meint sie, sollen sie immer der Wirklichkeit nachhecheln, warum dürfen sie nicht eine eigene Wirklichkeit schaffen? Sie rückt ein bisschen an der Leiter, die die Verbindung von den Wörtern zur Welt herstellt, und durch kleine Verschiebungen sieht das Vertraute plötzlich fremd aus.

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Gedichten auf den Leim gehen

Annette Gonserowski / lyrikwelt.de

Es gibt viele Gründe, Lyrik zu schreiben. Eine der Wichtigsten ist Lyrik zu lieben.

Dass Brigitte Fuchs Lyrik liebt, steht ausser Frage. Schlägt man ihr Buch "solange ihr Knie wippt" auf, wird man begrüsst mit dem Zitat Ernst Blochs: "Der Traum vom menschlich Gemässen ist nirgens zage", dem das Gedicht "Das Konstruieren von Atmosphäre" von William Carlos Williams folgt. Den Gedichten Williams sind die Gedichte der mehrfachen Literaturpreisträgerin verwandt. Wie er schafft sie es, Atmosphären einzufangen, sie in scheinbar nebensächlichen Augenblicken zu sammeln und in einer lockeren Gedichtform zu einem homogenen Gebilde zu formen. Nicht selten schreibt sie ohne Punkt und Koma, verzichtet auf Zeilenumbrüche und Satzenden, zwingt den Leser schon beim Lesen sich mit dem Gedicht auseinanderzusetzen. Gerade diese Form beeindruckt, macht atemlos beim Lesen.

Mir gefallen ihre Gedichte, die in einer scheinbaren Spontanität geschrieben zu sein scheinen. Dass diese Einschätzung falsch ist, sie im Gegenteil bestens durchdacht sind, zeigen nicht nur die oft überraschenden Gedichtendungen. Die Wirkung ihrer Gedichte ist ihr bekannt, denn im Gedicht "Himmel. Nochmal" gibt sie ein Verständnis ihres Schreibens bekannt: ".. Lege Gedichte aus. Leimruten. Schlingen."

Ich gehe diesen Gedichten gerne auf den Leim, sie faszinieren mich. Es ist ein Buch von einer Dichterin für Dichter geschrieben, denn hier finden sie sich wieder, finden eine Legimitation für ihre Kunst, z.B. im Gedicht "Blickfang": ".... Und wer soll uns hindern auf Blickfang zu gehen. Beute zu machen zwischen hereinfallenden Streifen aus Farbe und Licht?"

Aber dieses Buch nur den Dichtern zu widmen, hiesse ihm nicht gerecht werden. Ihre Gedicht erfrischen den Lesenden, wirken befreiend, fast tröstlich, wenn sie schreibt:

Destination

Die Flucht nach vorne drückt uns sanft
in die Polster beruhigend zu wissen
dass unsere Berfürchtungen
zusammengefaltet in bruchfesten
Schalenkoffern liegen im Frachtraum
stapeln sie sich zu kopflastigen Bergen
während uns über den Wolken die
seltsame Gewissheit beflügelt wir werden
woanders ankommen und die auf uns
warten werden uns in die Arme schliessen.

Es stimmt zwar, wenn sie an anderer Stelle schreibt: "Es ist möglich ohne Lyrik zu leben", aber ohne Lyrik wäre das Leben ein wenig trister, ein wenig schwerer, ein wenig kälter und ohne diese Gedichte ein wenig leerer. So möchte man sie gerne ermutigen, ebenso wie im Gedicht Um es nicht zu vergessen "ihre Lippen aufzuwerfen" und weiter ihre Lyrik zu schreiben.

Ein Buch, das ich sehr gerne empfehle.

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Die Farben auseinander halten

Virgilio Masciadri / Orte 11/12 2003

Eigentlich meint man ja, man wisse, wie die Gedichte von Brigitte Fuchs sind: dieses scheinbar Leichte, Hingetuschte, ein Aquarellieren mit Wörtern, Gefühlen und Wahrnehmungen:

Noch die in der
Luft vergrabene Hand schöpft Wasser aus
dem Meer. Nuancen.

An solchen Stellen finden wir in ihrem jüngsten Band Solange ihr Knie wippt einen vertrauten Ton. Doch wer die Gedichte der Aargauer Lyrikerin kennt, kommt hier mehr als einmal ins Stocken. Vieles ist so uneinheitlich, so gebrochen - nie, möchte man sagen, hat die Autorin das Interessante so hart neben das Schöne gesetzt.

Sicher schliessen sich die Texte noch häufiger als bisher um ein klar umrissenes Bild, ein Thema. Da kann die Aussage mehr als deutlich, fast eindimensional werden:

Es ist durchaus denkbar ohne
Lyrik zu leben. Kräuterbäder
und Kranzniederlegungen sind
zumutbare Alternativen …

Aufs Ganze gesehen gibt jedoch dieser Hang zum Direkten, zum Unmittelbaren dem Band eine angenehm kräftige Farbe. Dennoch lockt die Dichterin uns ab und zu in eine Falle. Oft beginnt sie mit einer einleuchtenden Sentenz, einer alltäglichen Beobachtung: Schön. Er weiss also mehr als ich. Oder: Sie sieht ihn stehen in der Tür… Daran versucht der unvorsichtige Leser sich zu halten wie an einem Notnagel - und schon beginnt alles zu wirbeln, hängt das Gedicht nicht dort, sondern woanders und entwischt uns mit einer überraschenden Drehung.

Bei allen mit Bedacht gesetzten Brüchen und poetischen Eulenspiegeleien ist mir von der Lektüre dennoch vor allem eine Grundstimmung im Gedächtnis geblieben, die durch diese Texte hindurchgeht. Ich glaube, es ist das besondere Gespür der Autorin für die schillernden Farben des Glücks. Vielleicht deshalb gelingt ihr fast beiläufig, so etwas Schwieriges wie ein Gedicht von der Liebe:

da streichst du mir die
Spinnweben aus dem Gesicht leichtfertig
steh ich da eine ganze Weile auf dem einen
auf dem richtigen Bein.

Ein andermal ist es die Dichtung, die sich trotzig gegen die Zähigkeit des Alltags behauptet:

am Tisch der
allen Belastungen stand hält faltet sie
die Wäsche die Tageszeitung schreibt
sie über die eine Hälfte des Zimmers.

Und stets bleibt jene Gefährdung spürbar, die hinter dem Glanz lauern kann, Zerbrechliches, Unheimliches: Unter jenen Prosaminiaturen, welche die Verse in diesem Band ab und zu unterbrechen, findet sich eine Geschichte, fast eine philosophische Anekdote, die mit der be-klemmenden Diagnose schliesst: In jedem Gramm Glück sind mindestens 150 Milligramm eines entzündungsfördernden Giftstoffes enthalten… Man muss auf der Hut sein. Die Ambivalenz alles Lebendigen, gerade auch des Glücks - das ist der Stoff, aus dem Brigitte Fuchs den Funken des Poetischen schlägt. Sie tut es auf ganz eigene Weise, und so merken wir wieder einmal, dass wir darüber nirgends mehr erfahren als bei den Dichterinnen und Dichtern.