Unter Sternschnuppen

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

160 Seiten

CHF 20.00, EUR 20.00

ISBN: 978-3-85990-064-6


2 Rezensionen

Judith, nicht mehr Mädchen, noch nicht Frau, hat sich in den Bergen verstiegen und muss eine kalte Augustnacht lang auf einem schmalen Felsband ausharren. Mit diesem eindrücklichen Bild von Verlorenheit beginnt die Titelgeschichte „Unter Sternschnuppen“, die den Entwicklungsweg einer Antiheldin durchs Gestrüpp ihrer Gefühle, Bindungen und Wünsche nachzeichnet.

In einer kraftvollen, sinnlichen Sprache erzählt Bea Schilling vom schwierigen Gelände der Liebe, von erträumten und enttäuschten, von zerstörerischen und lebenswichtigen Beziehungen. Ihren sieben Erzählungen ist gemeinsam, dass sie von Sehnsucht handeln und gleichzeitig in einer bodenständigen Realität wurzeln. Einige lassen Welten aufleuchten, die abseits des literarisch Gängigen liegen, zum Beispiel den archaischen Lebensraum der Alpen, in dem sich die Dramen von Mensch und Tier als vorübergehende Irritationen abzeichnen.

Genauso zupackend und mit Sinn fürs Detail holt die Autorin aus dem Kleinbürgertum der Fünfziger- und Sechzigerjahre Konturen und Farbe hervor, begleitet sie die Protagonistin von „Unter Sternschnuppen“ in die städtische Bohème, folgt sie in „Jules und Jacques“ der Aussteigergeneration auf ein Gehöft in Frankreich oder zeichnet sie in „Grosser Bär am Himmel“ das Porträt der älteren Frau aus einem städtischen Aussenquartier, die sich in einen jungen Asylbewerber verliebt. Allen Figuren gemeinsam ist der Hunger nach Leben, das manchmal süss, manchmal aber auch heimtückisch bitter gewürzt ist. So strahlen die Texte in ihrer ungewöhnlichen Mischung von Feinsinn, Schliff und Unbehauenheit eines aus: eine grundsätzliche, ursprüngliche Vitalität.

Rezensionen

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Autobiografisches als Urgestein

Elsa Bösch / FraZ / 4/04

Judith blickt zurück und denkt an die Toten und die Lebenden. An den Vater erinnert sie sich genau, doch "...'s Mueti sehe ich nicht so recht, aber was ich sehe, ist eine feuerfeste Glasform, frisch aus dem Backofen gezogen, voller gefüllter Tomaten, meinem Leibgericht."

Unter den sieben Erzählungen von Bea Schilling liegt das Autochthone, das Autobiografische als Urgestein. Mit einer kraftvollen Sprache und grossem Gespür für die Wichtigkeit der Details, die Atmosphäre bilden, zeigt sie uns den Weg, den ihre Figuren durch das schwierige Gelände der Liebe nehmen. Schwierig ist das Gelände aber auch im konkreten Sinn: Judith, die Gymnasialschülerin, setzt sich ab von der Bergsteigergruppe, will zeigen, was sie kann, und versteigt sich prompt in einer Felswand. Verloren unter dem Nachthimmel mit Sternschnuppen, die wohl das Wünschen erlauben, aber ebenso die frostige Kälte aus dem Weltall hereinbrechen lassen, rotieren ihre Gedanken wild, "um wenigstens eine gewisse Reibungswärme zu erzeugen".

Die Frauen in den Erzählungen heissen Judith, Emma Lüdi, Dorli Huber, Luisa, Cora ... und doch sind sie im Grunde genommen ein und dieselbe Person, die an dem wächst, was sie erlebt. Die erste Erzählung "Unter Sternschnuppen" und die letzte Erzählung "Grosser Bär am Himmel" zeigen diese Entwicklung auf und spannen einen Bogen über packend geschriebene Begebenheiten im Kleinbürgertum der fünfziger und sechziger Jahre, über die Aussteigergeneration in "Jules und Jacques", über zwei Erdbeertörtchen essende Schwestern.

Elsa Bösch

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Verblassende Sternschnuppen

Marco Durrer / Netzmagazin Plebs / 11.12.04

Ein Buch voller erfüllter und unerfüllter Wünsche, von der erotischen Spannung menschlicher Kontraste und dem Hunger nach süss, aber auch bitter gewürztem Leben.

Von Marco Durrer

Die sternschnuppenreichste Nacht des Jahrhunderts verbringt die adoleszente Judith unfreiwillig auf einem schmalen Felsband kauernd. Mit diesem Bild der Verlorenheit beginnt die Titelgeschichte dieses kurzen Erzählbandes, in der rückblickend der Entwicklungsweg einer nach Lebensinhalten suchenden Anti-Heldin nachgezeichnet wird, der von quälenden Gefühlsverwirrungen, enttäuschend scheiternden menschlichen Bindungen und vielen Wünschen gesäumt ist. Der literarische Höhepunkt der Geschichte bildet wohl ihr sinnreich zirkulär an den Anfang zurückführendes Ende.

Ein bisschen Alpenromantik und von der Anziehung der Gegensätze

In den sechs weiteren Erzählungen berichtet die Autorin aus dem Kleinbürgertum der fünfziger- und sechziger Jahren von der schwierigen Liebe einer Städterin zum rauhen Sennen Casper, von der unerfüllten Sehnsucht des Schafhirten Toni nach der unwiderstehlichen Kuhhirtin Marietta, von der Verlogenheit religiöser Sektenangehörigkeit, vom Gegensatz zweier Schwestern mit städtischem bzw. ländlichem Lebenswandel, vom unerfüllenden Ménage à trois dreier Aussteiger und noch von einer schwierigen Liebe einer älteren Schweizerin zu einem jungen pakistanischen Asylbewerber.

So einfach, einleuchtend und eingängig diese Geschichten auch daherkommen, so menschlich die in ihrem Hunger nach dem anderen Geschlecht und die an ihren eigentlich bescheidenen Wünschen scheiternden Protagonisten auch agieren, so enttäuschend gesucht, klischeehaft und platt mutet manchmal ihre Beschreibung an und so konstruiert erscheinen die Handlungsstrukturen. Erzählungen, die ab und an in ihrer Menschlichkeit und Liebe zum Detail aufleuchten, jedoch beinah so schnell wie eine Sternschnuppe wieder verblassen.