Das Rauschen des Raumes

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

288 Seiten

CHF 22.00, EUR 22.00

ISBN: 978-3-85990-038-7


5 Rezensionen

Mit einer prächtig blühenden Fantasie und einer gehörigen Portion physikalischen Fachwissens entwirft Susanne Thomann eine futuristische Welt, in der die Technik die Grenzen der Machbarkeit verschoben hat. Die Menschen segeln mit (Raum-)Schiffen in Photonenwinden durch das Weltall, machen Urlaub auf Jupitermonden und kontrollieren ihre Fruchtbarkeit mit in den Körper eingebauten Chips. Gleich geblieben sind hingegen die menschlichen Gefühle und Sehnsüchte. Zärtliche Hingabe und emotionelle Kälte, hemmungslose Leidenschaft und tödliche Eifersucht, Faszination und Verachtung prägen denn auch die fatale Hassliebe zwischen David und Tobias, den beiden Hauptfiguren dieses Romans.

Nach dem Bruch des eurasischen Kontinents ist die Erde nur noch teilweise bewohnbar. Die Menschen haben andere Himmelskörper des Sonnensystems urbar gemacht und leben heimatlos zwischen Raumstationen und Monden. Es gibt keine Familien mehr, die Reproduktion ist zentral geregelt. Eine der Hauptaufgaben der menschlichen Gesellschaft ist der Anbau von Nutzpflanzen auf den Aussenstationen. Das Monopol dafür liegt bei Demeter, einer allgegenwärtigen, korrupten Wirtschaftsmacht. Ich-Erzähler David vanLinden bekommt von Demeter den Auftrag, mit einem Frachtsegler Setzlinge auf eine Raumstation zu transportieren. Traumatisiert von einem ominösen Unfall, den er als Einziger überlebt hat, muss er Versuche abwehren, auf seine im Unterbewusstsein verborgenen Erinnerungen zuzugreifen. Er hat denn auch den Botaniker Tobias Duchent als Spion in Verdacht. Trotz seines Misstrauens ist David fasziniert von diesem undurchschaubaren Mann, der im Ruf steht, ein Magier zu sein. Gefangen in einem Dreiecksverhältnis mit der Schiffsingenieurin Elnia Kuba und Tobias gerät David in einen Strudel von Leidenschaft, Abhängigkeit, Intrigen und Machtspielen. In einem unbedachten Moment liefert er sich dem geheimnisvollen Duchent aus und kommt nicht mehr von ihm los. Wider Erwarten überlebt die schicksalshafte Verbindung zwischen den beiden Männern alle Turbulenzen und trotzt schliesslich sogar den Kräften der Magie.

In „Das Rauschen des Raumes“ erzählt David vanLinden rückblickend die Odyssee seines Lebens seit der Begegnung mit Tobias Duchent.

Rezensionen

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Von den ersten Sätzen berührt

Annette Schlemm / Virtuelles Philosophenstübchen

"Ich liebe die Zukunft. Sie liegt vor mir wie eine Ebene. Unberührt. Offen. Ich hasse die Vergangenheit. Ein dunkles Gebirge voller Höhlen und Schluchten. Und jeder Schritt, den wir tun, verwandelt die reine Fläche vor uns in düsteres Gebirge. Warum nur zerstören wir mit jeder Berührung diese Reinheit?"

Manchen Büchern sollte man es gar nicht wünschen, in die SF- und Fantasy-Regale der großen Kaufhausketten eingeordnet zu werden. Diese Regale sind nicht mehr die Bretter, die große Zukunftswelten tragen, sondern nur noch Verkaufstheken für Massenware.

Dazu gehört das Buch "Das Rauschen des Raumes" von Susanne Thomann auf keinen Fall. Es ist selten, bereits von den ersten Sätzen eines Buches so berührt zu werden, von dem ersten sanften Gespinst eines Fadens, den die Hauptperson als Silberfaden durch die Handlungslandschaft zieht, wie hier. Von der technischen und politischen Umwelt der Menschen, deren Leben wir begleiten, erfahren wir direkt nur im Klappentext etwas. David lebt auf Raumschiffen, die im Photonenwind segeln, verunglücken können, die Geheimnisse tragen, auf denen sich Agentenstories abspielen - und auf denen geliebt wird, wie noch niemals geliebt wurde. David wird in illegale Geschäfte mit einem Lebenselixier hineingezogen, steht unter Verdacht und verdächtigt. Magie scheint sich als neues Prinzip anzubieten - aber auch sie hinterlässt Wunden. Das ganze bewohnte Universum wird beherrscht von der Organisation Demeter, eine Ordnungssektion scheint David zu verfolgen. Aber er liebt. Er liebt den Undurchschaubaren, vielleicht seinen Feind. Und er liebt dessen Geliebte - und es fühlt sich richtig an. Gegen alle Verwirrungen seiner Zeit und gegen alle Gewohnheiten der LeserInnen seiner Lebensgeschichte webt diese Liebe den Silberfaden, der die düsteren Gebirge der Vergangenheit in sein erhellendes Licht taucht. Ein ganzes Leben durchläuft das Erzählen, der Lebensfaden durchquert abenteuerliche Geschichten, er weiß nicht wohin, aber er bleibt sich treu und wird in jedem Moment mehr er selbst. Er legt eine Spur, der zu folgen wohl keine Leserin und keinen Leser unverändert lässt. Wir lernen Möglichkeiten kennen, unter allen Bedingungen wir selbst zu werden.

"Ich hasse die erstarrte Form der Vergangenheit. Diese Schmutzspur des Geordneten. Ich liebe die Zukunft. Diese maximale Unwahrscheinlichkeit aller Zustände. Das ungeordnete Chaos. Das Licht, das mich blendet. Die Freiheit."

Nein, in die Regale der gewöhnlichen SF- und Fantasyliteratur gehört dieses Buch wirklich nicht - aber in die Hände jedes Interessenten an ausdruckstarker Sprache, besinnlichen Momenten und unberührtem Chaos, dessen Freiheit ihn ruft.

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Entwicklungsroman mit vielschichten Figuren

Alien Contact / Rezension

David VanLinden ist Kommandant der Botany, eines botanischen Weltraumfrachters. Seine Aufgabe besteht darin, Setzlinge von Nutzpflanzen zu Raumstationen und anderen menschlichen Siedlungen im Sonnensystem zu bringen. Beauftragt wird er von Demeter, einer allgegenwärtigen Wirtschaftsmacht, für die er auch gelegentlich ungesetzliche Schmuggelaufträge ausführt, von denen jedoch nicht einmal die Besatzung der Botany etwas erfahren darf.

Während eines längeren Flugs beginnt David ein Verhältnis mit der Ingenieurin Elnia Kuba, ohne zu wissen, dass sie bereits einen festen Partner hat. Dieser Partner namens Tobias Duchent fasziniert David ebenfalls, er fühlt sich zu ihm hingezogen, auch in sexueller Hinsicht. Andererseits ist David misstrauisch, denn er fürchtet, dass Tobias ein Spion sein könnte, der Details über einen ominösen Unfall erfahren will. David hatte diesen Unfall als Einziger überlebt, selbst seine damalige Partnerin ist dabei umgekommen. Aber trotz seines Misstrauens geht David eine Dreierpartnerschaft mit Tobias und Elnia ein. Als Elnia jedoch Monate später eine einmalige berufliche Chance erhält und die Botany verlässt, wird die Liebe der beiden Männer noch intensiver als zuvor, auch wenn Davids Eifersucht wächst, weil Tobias gelegentlich Frauen als Sexualpartner sucht. Als David schließlich einen neuen Schmuggelauftrag von Demeter erhält und dabei erwischt wird, kommt es zum Zerwürfnis der ohnehin nicht einfachen Beziehung. Beide müssen die Botany - voneinander getrennt - verlassen. Aber David kann und will Tobias trotz der räumlichen Trennung nicht vergessen ...

Susanne Thomann erschafft für ihre Geschichte einen sehr interessanten Hintergrund. Das Sonnensystem wurde besiedelt, die technischen Probleme der Raumfahrt wurden gelöst, Schiffe fliegen nicht nur mit herkömmlichen Antrieben, sondern auch mit monoatomaren Segeln in den Tachionen- und Photonenwinden. Auf Planetenmonden und Raumstationen werden Lebensmittel angebaut, um die Siedler zu versorgen. All dies bildet jedoch nur den Hintergrund des Buches. Das eigentliche Thema dieses Romans ist das komplizierte, schicksalhafte Verhältnis zwischen David und Tobias, das von Liebe, Sinnlichkeit, Eifersucht, Leidenschaft, Hass und Sehnsucht geprägt ist. Es ist ein Entwicklungsroman, in dem es keine eindimensionalen Figuren gibt - und das ist in der Science Fiction selbst heute noch viel zu selten. Es gibt nur wenige SF-Romane deutschsprachiger Autoren, die so einfühlsam geschrieben sind.

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Elementarteilchen

Gregor Patorski / Entwürfe 3/03

In "Das Rauschen des Raumes" vereint Susanne Thomann Physik und Psyche.

Wenn man von Tachionen- und Photonenwinden liest, von monoatomaren Segelfolien und von Schiffen, die bugvoran den kosmischen Raum durchpflügen, könnte man sich in eine krude Mischung aus Seefahrer-Romantik und Science-Fiction-Erguss versetzt wähnen. Dass dem in Susanne Thomanns Das Rauschen des Raumes ob so vieler Technophilie doch nicht so ist, ist zu einem Gutteil einer interessanten Dreier-Konstellation zu verdanken.

Im Rückblick auf sein Leben erzählt der ehemalige Raumschiffkommandant David vanLinden von seinen Erlebnissen mit der Ingenieurin Elnia Kuba und dem Biologen Tobias Duchent. In einer seiner ersten Missionen trifft er auf die beiden, die bereits ein Pärchen sind, und verliebt sich in Elnia. So weit, so Kitsch.

Doch dann entwickelt sich die Geschichte überraschend anders, als man es sich von Dreiecksverhältnissen gewohnt ist. Elnia nimmt eine Mittlerposition ein, und die beiden jungen Männer finden zueinander. Was in der Folge berichtet wird, ist eine Geschichte von ineinander verbissener Leidenschaft, von Raserei und Gefühlskälte, ein Ritt die Emotionsskala hinauf und hinunter, eine Hassliebe, die das ganze Leben währt. Die Sehnsucht zweier Menschen, die sich nie gänzlich erfüllen kann: "Die Suche ist eine Sehnsucht, die mit Finden nichts zu tun hat."

Die Stärke des Romans ist zugleich seine Schwäche. So aufwühlend genau die 47-jährige Berner Autorin die Gefühle ihrer Protagonisten ausloten kann, so präzise sie in ihren Beschreibungen der einzelnen Situationen und Stationen auch ist, so bleibt die Lebenverstrickung der beiden Männer etwas lose verknüpft. Will heissen: Die einzelnen Lebensszenen oder -sequenzen passen nicht gänzlich aneinander, man kauft der Autorin den steten Wechsel von heiss zu kalt mit der Zeit nicht mehr ab.

Was bleibt, ist ein Roman von Psyche und Physik, von emotionalem Tiefgang und von hohem Fachwissen, sei es nun Seemannsgarn, Drogentrip oder Weltraumkoller. Ein Roman, in den die Segel zu setzen sich lohnt.

Gregor Patorski

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Süffige und spannende Geschichte

Ursula Pinheiro-Weber / Berner Bär / 24.10.02

Eine futuristische Welt, wo die Menschen mit Raumschiffen durch das Sonnensystem segeln. Zwei Menschen, die im Rausch der unterschiedlichsten Gefühle kaum mehr voneinander lassen können: Der erste Entwicklungsroman von Susanne Thomann beschreibt ein aussergewöhnliches Leben in aussergewöhnlicher Umgebung.

Von Ursula Pinheiro-Weber

"Vergangenheit verstopft die Gegenwart." "Ich liebe die Zukunft, sie ist angenehm leer." Die Liste der sprichwortreifen Zitate aus dem Buch "Das Rauschen des Raumes" könnte beliebig fortgesetzt werden. Trotz des philosophischen Tiefgangs bleibt die Geschichte von zwei Männern, die sich irgendwo im Universum begegnen, süffig und spannend. Die beiden Figuren erleben alle Facetten der menschlichen Gefühle wie Hingabe, Kälte, Leidenschaft, Sinnlichkeit, Hass, Eifersucht, Faszination und Verachtung. Sie verköpern gleichzeitig die Verunsicherung in einem Lebensraum, wo man sich an nichts mehr klammern kann. Die Erde existiert nicht mehr, die Menschen haben, durchaus im zweideutigen Sinn, keinen Boden mehr unter den Füssen. Es gibt kaum mehr Privatsphäre, alles ist durchorganisiert. Die Arbeitsjahre müssen abgehockt werden, ein Bonus-/Malussystem belohnt/bestraft die Einsätze, Essen und Wohnen in Containern ist gratis, Fortpflanzung ist eine organisatorische Frage... Die Individuen versuchen in dieser Sozialutopie, etwas Starkes in den Beziehungen aufzubauen. Immer geprägt von Heimatlosigkeit, einem neuen Blick auf das Universum und der Suche nach Wahrheit. Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive eines alten Mannes erzählt, der auf sein Leben zurückblickt: Der subjekte Rückblick eines alten Mannes.

Sehnsucht als Lebensgefühl
"Die Suche ist eine Sehnsucht, die mit Finden nichts zu tun hat", ist möglicherweise die zentrale Aussage im Buch. "Ein wirklicher Sucher bleibt ein Sucher", beteuert denn auch die Autorin Susanne Thomann. Ihre Suche nach den Romangrundlagen führten sie über Gespräche mit ihrem Mann, dem Physiker, über eigene Beziehungserfahrungen, Interviews mit Homosexuellen, die intensive Beschäftigung mit der Astronomie sowie Untersuchungen akustischer Phänomene im Rahmen ihres Studiums der Musikwissenschaften.

Sinnlichkeit - Sex - Liebe
Auf die Frage, weshalb der Roman auch vor dem ausführlichen Beschrieb von sexuellen, sinnlichen Handlungen in verschiedensten Partnerschaftsformen nicht Halt macht, beteuert die 47-Jährige: "Dies ist eine Wahrheit, die ich mir zugelassen habe. Wenn die Geschichte schon in dieser Dichte zustande kam, wollte ich denn auch auf diesem Gebiet keine Einschränkungen machen. Die beschriebenen Charaktere erhalten durch ihre Sinnlichkeit eine Möglichkeit, aus der allzu festgelegten und durchorganisierten Utopiewelt auszubrechen." Ein spannender Roman über eine Welt, in der die Technik die Grenzen des Machbaren verschoben hat.

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Ein Interview mit Susanne Thomann

Hardy Kettlitz / Alien Contact / April 2004

ALIEN CONTACT: Sie haben zuvor keine Science Fiction geschrieben. Wie kamen Sie zu diesem Genre?
Susanne Thomann: Seit meiner Jugend bin ich SF-Fan. Als Studentin habe ich auch diverse SF-Kurzgeschichten und SF-Gedichte geschrieben. Sie wurden ausschließlich im damaligen SF-Club publiziert. Die Ur-Idee zu Das Rauschen des Raumes stammt noch aus dieser Zeit. Es sollten ursprünglich die (witzigen und haarsträubenden) Memoiren eines Raumschiff-Captains werden.

AC: Wie viel ist denn von der ursprünglichen Geschichte übrig geblieben?
Thomann: Die ganze Anlage des Romans als retrospektive Ich-Erzählung ist geblieben, die (etwas naive) männliche Erzählfigur, also die ganze Perspektive der Wahrnehmung. Auch sprachlich habe ich mich am ursprünglichen "Memoirenstil" orientiert. Übernommen habe ich zudem das Frauenbild, diese Kraft und Unabhängigkeit der Frauen, damit verbunden auch eine gewisse Unerreichbarkeit des Weiblichen für den Ich-Erzähler.

AC: In Ihrem Roman stehen hochinteressante und einfühlsam geschilderte Figuren im Mittelpunkt, weniger die Science-Fiction-Handlung. Warum haben Sie die Geschichte im Weltraum angesiedelt?
Thomann: Das hat mehrere Gründe: Mich interessieren die Grenzen der heutigen Physik, die Grenzen menschlicher und technischer Möglichkeiten. Auch beschäftigt mich seit jeher die Tatsache, dass unser Sonnensystem am sternenarmen Rand unserer Galaxie liegt und dass die Planeten so weit auseinander liegen. Dieser dünne leere Raum um uns herum reizte mich als Bühne für meine Figuren.

Es ging mir auch ganz wesentlich um eine Sozialutopie. Das gab mir für die Figuren andere Entwicklungsmöglichkeiten, als sie in unserer Gesellschaft vorgegeben sind. Dazu gehört auch, dass ich ihnen den angeblich sicheren Boden unter den Füssen wegnehmen konnte, und zwar ziemlich konsequent. Dieses Grundgefühl der Verlorenheit war mir wichtig.

Segeln im Weltraum ist ebenfalls ein Thema für mich, sowohl technisch als auch menschlich. Beim Segeln treffen die Sehnsucht nach Weite und die Sehnsucht nach Geborgenheit aufeinander. Der Mensch ist den Elementen ausgeliefert. Das verstärkt die Verletzbarkeit der Agierenden. Ich wollte die Figuren diesen Emotionen aussetzen. Da die NASA mit Segeln im Weltraum experimentiert, reizte mich das Thema auch technisch, zumal ich selber begeisterte Seglerin (natürlich nur auf terranischen Meeren) bin.

AC: Haben Sie für die Recherche andere SF-Bücher gelesen?
Thomann: Nicht speziell, da ich mit der SF-Literatur relativ gut vertraut bin. Auf der Suche nach dem Denkmodell für meine Romanwelt las ich Flatland von Edwin A. Abbott, Eine kurze Geschichte der Zeit von Stephen W. Hawking sowie Die Physik von Star Trek von Lawrence M. Krauss nochmals. Dann beschloss ich, das von der Relativitätstheorie festgelegte Raum-Zeit-Modell und damit die Lichtgeschwindigkeit als Grenze zu akzeptieren, also nahe bei der "Wirklichkeit" zu bleiben. Als diese Entscheidung gefallen war, recherchierte ich hauptsächlich im Internet zu den Details unseres Planetensystems.

Am längsten habe ich übrigens recherchiert, um herauszufinden, wie auf einem Himmelskörper mit verminderter Schwerkraft (im Roman der Jupiter-Mond Ganymed) ein Wasserfall aussieht.

AC: Warum spielt die Erde als Heimatplanet in Ihrem Buch nur eine sehr untergeordnete Rolle?
Thomann: Die Erde steht als Symbol alter Werte, die im rastlosen Unterwegssein nur noch marginalen Nutzen haben und als entsprechend wertlos eingestuft werden. Trotzdem, die Erde hat Gravitation 1 und ist damit physisch die Heimat des Menschen. Nur hier kann der Mensch ohne ständige Anstrengung (Gravitationstraining) überleben. Die Erde versinnbildlicht deshalb auch Heimat in einer Welt der Heimatlosigkeit. So befinden sich die Magierschule Frona Benal und die altertümlichen Pflanzungen von Solabera auf Terra. Beide ziehen Tobias Duchent unwiderstehlich an. Im Gegensatz zu David sucht er auch unentwegt nach etwas, das ihm Heimat sein könnte: Liebe, Familie, Drogen, Magie, Lehrberuf, Pflanzen …

AC: Im Roman geht es mehrfach um den illegalen Anbau und die Einnahme von Drogen, wobei der Ich-Erzähler David VanLinden dies duldet und auch selbst welche nimmt. Das hat mich überrascht. Sind Sie für die Legalisierung von Drogen?
Thomann: Ich glaube, dass die Menschen den Umgang mit Drogen lernen könnten, wenn die nötigen Rahmenbedingungen dazu gegeben wären. Das würde allerdings eine völlig andere Drogen- und Sozialpolitik voraussetzen. In meinem Roman sind Drogen Bestandteil der normalen Freizeitgestaltung. Nur der unkontrollierte Eigenanbau ist (zum Schutz der Konsumierenden und aus wirtschaftlichen Gründen) strafbar. Die Menschen holen sich ihre Freizeitdrogen legal in den Drogenbars, wo sie von Spezialisten beraten werden. Ich halte dieses Szenario für durchaus realistisch.

AC: Tobias Duchent, eine der beiden Hauptfiguren, hält sich eine Zeit lang in einer Magierschule auf. Warum haben Sie das Magie-Element in Ihre sonst sehr rationale Zukunftswelt eingeführt?
Thomann: Ich wollte diese rationale Welt nicht verhärten lassen. Sie sollte keine Sicherheit bieten. Da ist immer dieses Andere, das man nicht erklären kann und schon gar nicht beherrschen, etwas, das verunsichert, das Angst macht und gleichzeitig lockt. Aus diesem Spannungsfeld lebt auch die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten David und Tobias. Das Wesen und die Herkunft von Tobias sind tief verknüpft mit Magie. Er ist ein Kind der Magie, musste sie aber verlassen, um zu überleben. Das gehört zu seiner Geschichte und zu seinem inneren Werdegang.

AC: Dennoch ist Magie ein Element der Fantasy, weniger der rationalen Science Fiction. Beim Lesen einer Weltraumgeschichte hat mich dies verunsichert, somit hat ihr Gedanke funktioniert. Fürchteten Sie nicht, dass die Geschichte dadurch unrealistischer wirkt?
Thomann: Es gibt nichts Unrealistischeres als die in der SF-Literatur rational beschriebene Raumfahrt, die jede physikalische Wirklichkeit ausblendet. Ich wollte nichts ausblenden, weder die Relativitätstheorie noch die Tiefenpsychologie. Insofern zweifelte ich nie an der Realität meiner Geschichte. Natürlich gab es Momente der Unsicherheit, ob ich gewisse Dinge so unerklärt stehen lassen könne. Etwa die ganze Schatten-Thematik. Oder das seltsame Grün. Aber es war mehr die Frage nach Dichte und Tonalität der Erzählung als nach der Sache an sich.

AC: Warum schreibt eine weibliche Autorin so einfühlsam über eine Liebesgeschichte zwischen zwei Männern?
Thomann: Das war nicht von Anfang an so geplant, es ergab sich während des Schreibens. Ich hatte einen männlichen Ich-Erzähler gewählt. Bei der Ausgestaltung der Charaktere erwies sich Tobias als die Figur mit dem größten Entwicklungspotenzial. Die ursprünglich geplante Dreiecksbeziehung mit Elnia trat etwas zurück, und ich konzentrierte mich auf die beiden Männer. Grundsätzlich wollte ich die gängigen Beziehungsmuster hinterfragen. Mir war von Anfang an klar, dass ich die heutigen Geschlechterrollen und die Familie abschaffen würde.

Als Autorin oder Autor muss man in alle Figuren des Romans schlüpfen können, um sie ihrer Anlage entsprechend entwickeln zu können. Es ist mir vertraut, einen Mann zu lieben. Deshalb fiel es mir leicht, Davids Liebe zu Tobias zu beschreiben. Die Texte habe ich gleichgeschlechtlich orientierten Männern zum Gegenlesen gegeben, um sicherzustellen, dass sich auch ein Mann damit identifizieren kann. Zudem habe ich auch während des Schreibens Gespräche mit homosexuellen Männern geführt, um mich mit ihrer Gefühlswelt vertraut zu machen.

AC: Gab es durch die Testleser nachträgliche Änderungen am Roman? Gab es Aspekte der homosexuellen Gefühlswelt, die Sie überrascht haben?
Thomann: Es gab weder Änderungen noch Überraschungen. Bei den Gesprächen hat sich bestätigt, dass die Gefühlswelt weit mehr durch die Disposition der Persönlichkeiten als durch das Geschlecht geprägt ist. Wenn zwei Menschen ihre Liebe zulassen, spielt das Geschlecht keine Rolle.

AC: Welche Aspekte sind Ihnen an einer Geschichte besonders wichtig, egal ob Science Fiction oder nicht?
Thomann: Mit ist eine einfache Sprache wichtig, die sich nahe an gesprochener Sprache bewegt. Vor allem bei einer Ich-Erzählung soll sich die Geschichte so lesen, als erzähle sie jemand eben gerade, als höre man dem Erzählenden zu. Ich mag es auch, wenn eine Geschichte aus einem subjektiven Blickwinkel erzählt ist.

Thematisch steht bei mir der Mensch in seinem sozialen Umfeld im Mittelpunkt. Dabei ist mir wichtig, herkömmliche Denkmuster aufzubrechen.

AC: Das Rauschen des Raumes ist ihr zweiter Roman. Arbeiten Sie an einem dritten? Wird es wieder ein SF-Roman sein?
Thomann: Ich arbeite an einem dritten Roman, einer Beziehungsgeschichte, die in unserer heutigen Welt und Gesellschaft spielt. Allerdings habe ich den Stoff für den vierten Roman bereits im Blickfeld. Der vierte wird wieder SF sein.

AC: Verraten Sie uns das Thema?
Thomann: Es wird um Psychodesign und fremde Beziehungsmuster gehen. Mehr möchte ich nicht verraten. Lassen Sie sich überraschen!

AC: Vielen Dank für das Gespräch.

*Das Interview führte Hardy Kettlitz im April 2004 per E-Mail.