Das verrohte Herz

Buch

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Aus dem Englischen von Stefan Howald

Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

232 Seiten

CHF 22.00, EUR 22.00

ISBN: 978-3-85990-137-7


3 Rezensionen

68 und die Folgen: Ein englischer Kommunist verliebt sich in eine deutsche Aktivistin der Neuen Linken, die in den Terrorismus abgleitet. Wie weit kann oder darf kritische Solidarität gehen? Muss sich das Herz im Dienst der politischen Sache verhärten?

Wie in seinem bewegenden autobiografischen Bericht Carlino behandelt der schottische Autor Stuart Hood im Roman Das gnadenlose Herz zentrale Fragen politischen Engagements. Hood verkehrte um 1970 mit dem deutschen Schriftsteller Erich Fried, dessen Gedichte er ins Englische übersetzte.
Frieds Londoner Haus war damals eine exterritoriale Anlaufstelle für die ausserparlamentarische Opposition in Deutschland, wobei Hood dort nicht nur Dutschke und andere Studentenführer, sondern auch etliche spätere Mitglieder der Roten Armee Fraktion kennen lernte. Ihn interessierte, wie er gesagt hat, „diese merkwürdige Mischung aus Idealismus und der Neigung, die Dinge ins Extrem voranzutreiben, jenseits aller Rationalität, beinahe in die Unwirklichkeit, in eine vollkommen selbstbezügliche Welt hinein.“

Gegenüber deutschen Aufarbeitungen von 68 und des deutschen Terrorismus besitzt Hoods Werk eine zusätzliche Vielschichtigkeit. Die Hauptfigur, in den 1930er Jahren politisiert, später als Übersetzer tätig, kennt verschiedene politische Bewegungen und kulturelle Milieus. Als englischer Offizier hat er im Zweiten Weltkrieg gegen den Faschismus gekämpft und kann den antifaschistischen Impuls der deutschen 68er verstehen. Gegenüber seiner Desillusionierung versprechen sie die spektakuläre heroische Tat. Umgekehrt weiss er aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, wenn Menschen getötet werden, und so sieht er fasziniert und gelähmt, wie die Spirale der Gewalt zu drehen beginnt. Das gnadenlose Herz lotet solche Fragen um Politik und Gewalt, um Liebe und Solidarität, um Engagement und Resignation tiefgründig in ihren Widersprüchen aus, kritisch, aber nicht denunziatorisch.

Rezensionen

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Der kleine Schritt von der Utopie zur Gewalt

Claudio Steiger / Tagesanzeiger / 2.6.09

«Das verrohte Herz» des schottischen Autors StuartHood erscheint nach 20 Jahren auf Deutsch. Es ist ein zeitloser, grossartiger Roman über 1968 und seine Folgen.

«Zweifle nicht an dem, der dir sagt, er hat Angst / aber hab Angst vor dem, der dir sagt, er kennt keinen Zweifel.» Das Gedicht Erich Frieds von 1974 liest sich nachträglich auch als Warnung vor eigenen Bekannten. Denn in seinem Londoner Haus verkehrten Ende der 60er-Jahre nicht nur Rudi Dutschke und die APO, sondern auch spätere RAF-Mitglieder.

Stuart Hood, linksintellektueller Publizist und als Nachbar seinerseits oft bei Fried zu Besuch, hat die Faszination des Kreises erkannt. Geboren 1915, war er im Zweiten Weltkrieg britischer Nachrichtenoffizier, dann Partisanenführer in Italien; nach 1945 stieg er bei der BBC auf. Und vielleicht hatte Hood zu viel gesehen, um nicht auch skeptisch zu sein. 1989 gab die kritisch geneigte Auseinandersetzung mit dem untergegangenen Kommunismus dann den Anstoss zum Roman «The brutal heart»; jetzt erst erscheint er auf Deutsch.

«Alle müssen mit allen pennen»

London, 1971. Der Übersetzer Alasdair, illusionsloser Altkommunist, hat seinen Sohn Euan verloren: Der Avantgardefilmer ist für einen Terroristen gehalten und von der Polizei erschossen worden. In Rückblicken entfaltet sich die Handlung. Euan lebt sich politisch wie sexuell aus. Er ist am Puls der Zeit, im Zentrum der Studentenbewegung und glaubt an die Macht der Sit-Ins und Diskussionen. Dafür nicht an den Vater, der für ihn ein Versager ist, «voll mit nutzloser historischer Scheisse».

Es ist die Ironie der Geschichte, dass Alasdair durch Euan mit neuem Leben erfüllt wird. Denn der Sohn bringt ihn mit Erika, einer deutschen Studentin - und Terroristin - in Kontakt. Zwischen den beiden entwickelt sich ein Verhältnis. (Erikas Kommunen-Devise: «Alle müssen mit allen pennen.») Zunehmend vertraut sie sich Alasdair an. Er hält Terrorismus für sinnlos, grenzt sich aber auch nicht ab. Es ist eine «indirekte» Liebe, «weil sie nicht zu seinem Haus, zu seiner Gesellschaft, zu seiner Sprache» gehört, aber er kann sich der radikalen Sinnlichkeit eines Lebens, das Politik, Sex und Gewalt ineinandermischt, nicht entziehen. Wie weit wird er gehen?

«Das verrohte Herz» ist ein fesselnder Roman und eine brillante Reflexion auf die Möglichkeiten und Grenzen politischen Handelns. Es ist das bestechende Psychogramm derjenigen, die zwischen den Fronten stehen. Und es erinnert an «Deutschland im Herbst», wo Regisseure wie Fassbinder und Schlöndorff sich mit dem von Angst und Misstrauen geprägten Klima der BRD im Herbst 1977 auseinandersetzten. Auch bei Hood lautet die entscheidende Frage: Was tun, wenn man die Mittel des Terrors ablehnt, aber auch diejenigen des vermeintlichen Rechtsstaats, der jeden legitimen Protest mit Repression, Überwachung und Notstandsgesetzen beantwortet? Niemand treibt die Vermessung der Abgründe in diesem No-Mans-Land so weit wie Hood, niemand beschreibt die Verrohung, die dabei alle erfassen muss, so unnachgiebig. Es ist diese ehrliche Auseinandersetzung, die man in Filmen wie dem «Baader-Meinhof-Komplex» vergeblich sucht.

Auch stilistisch überzeugt «Das verrohte Herz». Hoods Sprache ist so konzis wie karg, ohne jedes Ornament oder Pathos - und dadurch von enormer Eindringlichkeit. Die Übersetzung ihrerseits ist brillant. Sie fängt den englischen Sprachfluss ins Deutsche auf, ohne dass der nüchtern-faszinierende Klang verloren geht.

«Wir hatten das Herz mit Fantasien genährt, es ist dadurch verroht.» Yeats’ Worte, dem Roman vorangestellt, verweisen auf die Nachtseite des Ändern-Wollens, auf die Abgründigkeit jedes Denkens, das zu viel will. Von der Utopie zum Terror ist es bloss ein kleiner Schritt. Aber darf man deshalb ganz auf Utopien verzichten?

Alasdair selbst mag nicht zu helfen sein. Dem Leser schon. Stuart Hood zeigt, dass es eine radikale Mitte geben muss zwischen Anpassung und Terrorismus, ein dezidiertes Drittes jenseits selbstgefälliger Indifferenz und an sich selbst berauschter Gewalt. Gerade weil der Autor zu keiner Zeit eine einfache Antwort gibt, gelingt ihm im Literarischen, was in der Realität kaum zu schaffen ist: die Möglichkeit extremen Engagements ohne Extremität der Mittel auszuloten und alle Widersprüche dabei auszuhalten. Und das ist die Leistung dieses Buches.