Notizen über einen beiläufigen Mord

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

352 Seiten

CHF 22.00, EUR 22.00

ISBN: 978-3-85990-017-2


2 Rezensionen

Nicht eindeutig einzuordnen ist Markus Moors drittes Buch: Ein Kriminalroman? Ein Liebes- oder ein Entwicklungsroman? Oder ein episches Werk über das Bergell? Jedenfalls ein Buch geschrieben in einer poetisch-feinfühligen Sprache von einem Autor, den es noch zu entdecken gilt!

Ein Kriminalroman, möchte man meinen, mit einem Täter und Marugg, dem Kriminalkommissär, dem Jäger, der eigentlich gar keiner ist, weil selbst gejagt von einer übervollen Vergangenheit, daraus eine Geschichte, an die man glauben könnte, nicht zu ziehen ist. Ausufernd manchmal, obwohl als Mensch eher karg und bescheiden, kommt Marugg für einmal nicht mehr darum herum, nur mehr Restverwerter zu bleiben von etwas, das einmal nicht aufgegangen ist, weil es nicht aufgehen konnte; jedenfalls nicht mit seiner Sicht, nicht mit der Art und Weise, wie er sich das Damals eingegossen hat, zur gipsernen Ikone verunstaltet, was einmal Leben war. Und daneben eben der Täter, der zwar gefunden wird – beileibe keine kriminalistische Meistertat -, aber bis zuletzt namenlos bleibt, weil er sich eben erst Geschichte geschaffen hat, mehr aus Zufall wahrscheinlich und entgegen jeder Absicht, mit einer leeren Vergangenheit, die zu füllen er im Begriffe steht durch sein Opfer, das er liebte, vermutlich zum ersten Mal fähig zur Liebe überhaupt.

Das Selbstverständnis, der tägliche Betrug an sich selber, wie er festzustellen glaubt, ist ihm schlicht abhanden gekommen, dass es in seinem Kopf gerade mal noch zu der Er-Form reicht, wenn er von sich spricht, knapp, bis zum Schweigen. Blinde eigentlich beide mit einer seltsamen Gleichgültigkeit, irregeleitet von der Gelassenheit des Alltäglichen, müssen sie irritiert einen dunstigen Umriss sich herausschälen sehen, und das ist nichts anderes als die Liebe, die zu benennen, wie als Brauch, sie sich gehütet haben, um täglich mit zunehmend versteinertem Mundwinkel zu bekennen: Das genügt für ein Leben. Schon nur der Ton des Wortes ist ihnen gesucht erschienen. Wie sie sich gefühlt haben? – Sie haben sich daran gewöhnt. Ein Roman über die Liebe, eigentlich ein Liebesroman. Und über das Bergell.

Rezensionen

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Ulrike Kieser-Hess / ekz-Informationsdienst

Wer einen richtigen Krimi erwartet, sollte lieber die Hände von den Mordnotizen lassen, wer dagegen eine fesselnde Kindheitsbeschreibung und eine einfühlsame Beschreibung einer sich anbahnenden Liebesbeziehung lesen möchte, der ist mit Markus Moors Roman gut bedient. Zwar gibt es ihn, den Mord an der jungen Frau, zwar gibt es den ermittelnden Kommissar, aber Mittelpunkt und Anziehungspunkt des Romans sind die Gedanken zweier Männer. Die Reflexion des Grafikers über seine Beziehung zu der Frau, die er über eine Zeitungsannonce kennengelernt hat, und die rückschauenden Blicke des Kommissars auf eine von Krankeit und Tod der Mutter geprägte Kindheit. Dazwischen laufen die Ermittlungen, spinnen sich ganz langsam, fast unbemerkt die Fäden zwischen den Protagonisten. Ein Buch, das den Leser ganz langsam gefangen nimmt, sofern er Geduld hat. Die Erinnerungen und Gedanken gilt es zu folgen und wenn man sich darauf einlässt, sind diese Leben ganz spannende Geschichten, die den Mord fast vergessen machen. Ein wenig Leseerfahrung setzt das Buch schon voraus, aber es lohnt sich.

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Erinnerung und Lächerlichkeit

Markus Bundi / Aargauer Zeitung / 8.11.2000

Kein Kriminalroman. Zu Markus Moors »Notizen über einen beiläufigen Mord«

Nach zwei Erzählungen der erste Roman: Der Aargauer Schriftsteller Markus Moor wagt sich an diegrosse Form. Hat man den Buchumschlag erstmal weggeworfen und den angekündigten Krimi vergessen, eröffnet sich eine Vielzahl interessanter Geschichten.

Von Markus Bundi

Es ist doch immer wieder ärgerlich, wenn man nicht das bekommt, was man will. In manchen Fällen kann das sehr schmerzhaft sein, in weniger schwerwiegenden bleibt ein Kopfschütteln. Allzu oft liegt die Enttäuschung in einer falschen Erwartungshaltung begründet, die zuweilen aber auch von aussen geschürt werden kann: »Notizen über einen beiläufigen Mord«, der Titel des neuen Romans von Markus Moor, suggeriert bereits das Krimigenre, der Untertitel dann, »Eine Art Kriminalroman«, räumt letzte Zweifel aus und führt definitiv in die Irre. Dass es sich bei dieser »Art Kriminalroman« in Tat und Wahrheit gerade nicht um einen Kriminalroman handelt, ist wohl auch für findige Geister nur schwer zu erahnen. Oder ist vielleicht der Skischuh in letzter Konsequenz nicht doch auch eine Art Turnschuh?

Wie gesagt, man kann sich über derlei Etikettenschwindel schwarz ärgern oder nur mit den Kopf schütteln. Fakt ist, Markus Moor hat einen Roman geschrieben, in dem es in erster Linie um Erinnerungsarbeit und Selbstbeobachtung geht, mit einem Protagonisten, der keine leichte Kindheit hatte und sich jetzt in der Grossstadt als Polizeibeamter verdingt. Gian Marugg ist allerdings nicht der erste Protagonist, selne Geschichte beginnt erst im zweitenTeil, die ersten siebzig Seiten »gehören« demTäter.

Auf Distanz zu sich selbst

Tagebucheintragungen führen vom Kennenlernen Renates Ende März bis kurz vor die Tat Anfang August. Geschrieben in Er-Form - »als ginge jemand anderes als man selbst mit seiner Haut im Tempo seiner eigenen Schritte«. Der Täter, ein Grafiker Mitte fünfzig, ist aber nicht nur auf Distanz zu sich selbst gegangen, sein Verhalten, seine Körperlichkeit, ja seine gesamte Existenz erscheinen ihm lächerlich. Ungewissheiten und Enttäuschungen nimmt er als Zerrbild des Lächerlichen wahr. Sein Kampf dagegen, auch gegen die »Fäulnis«, der er gewahr wird, ist vergebens. Seine Selbstbeobachtungen - man wähnt sich zuweilen mitten in der Befindlichkeitsliteratur - drehen sich im Kreis, daraus auszubrechen einzig die Tat Hand bietet. - Dieser Schluss liegt nahe. Inwieweit der Mord tatsächlich als Notwendigkeit aus jener kranken Psyche folgt, sich einreiht als ein weiterer Akt der Lächerlichkeit oder eben - wie der Titel vorgibt - ein »beiläufiger« ist, lässt der Autor offen.

Polizeiwachtmeister Maruggs Ermittlungen nehmen den weit umfangreicheren Teil des Buches ein, machen den eigentlichen Roman aus Während bei den Tagebucheintragungen die Zeit nur so dahinfliegt, sind Maruggs Tage merklich länger: Sein »Fall« dauert drei Tage und nimmt beinahe dreihundert Buchseiten ein.Von »Notizen« - wie sie der Romantitel ankündigt - kann keine Rede sein. Was verhandelt wird, sind die Ermittlungen Maruggs zum Fall Marugg, der ein Fall von Erinnerungen und deren Verarbeitung ist. Das Bild der Ermordeten erinnert ihn an Anna und somit an die Zeit, als seine Mutter starb.

Anna wird eingestellt, als Gians Mutter ernstlich erkrankt und in der Backstube nicht mehr mitarbeiten kann. Anna, eine wunderschöne junge Frau, weckt nicht nur bald die Begehrlichkeiten des Vaters, sondern auch des 16-jährigen Gian. Diese Geschichte aus dem Bergell ist eigentlicher Dreh- und Angelpunkt des Romans. Hier entfaltet Markus Moor auch seine unbestrittene Stärke: das Erzählen. Sei es der Alltag in der Bäckerei dieses kleinen Bergdorfes Soglio, sei es die innige Beziehung Gians zu seiner Mutter oder sei es die Annäherung an Anna; aus der Vergangenheit wird ein ganzer Kosmos zu neuem Leben erweckt, der sich in die Gegenwart erstreckt und bis tief in Maruggs Seelengründe hinabreicht. Dabei wechselt Moor mit grossem Geschick Zeit und Perspektive: Er lässt den alten Gian seine Geschichte noch einmal erleben, eröffnet aber auch die Gedanken und den Blick des Knaben.

Verwebung und Verschmelzung

Markus Moor gelingt es mit verblüffender Leichtigkeit, Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen, das eine tritt inWechselwirkung mit dem andern. In die Jugenderinnerungen verweben sich sowohl der aktuelle Mordfall, den Marugg aufzuklären hätte, wie auch seine Beziehung zu Maria, mit der er über zwanzig Jahre verheiratet ist. In diesen Verwebungen geschieht noch etwas anderes: Die Figuren beginnen ineinander zu verschmelzen. Mit der äusserlichen Ähnlichkeit Annas mit dem Mordopfer begann eine Kettenreaktion nicht nur der Erinnerungen; Marugg stellt plötzlich die Gemeinsamkeiten seiner Frau Maria und seiner früh verstorbenen Mutter fest. Insbesondere eine Seelenverwandtschaft jedoch sticht ins Auge: In ihren Selbstbeobachtungen sind sich der gesuchte Täter und der ihn suchende Beamte sehr nahe. Auch Maruggs Zuverscht »verfault« einstweilen, seine Gedanken kreisen um die Lächerlichkeit, sogar »die Wichtigkeit, die der Fall mit der Toten bekommen hat, erscheint ihm lächerlich«. Und denkt er über die Beschaffenheit des Mörders nach, mutet das an wie eine Selbstanalyse: »Marugg denkt an jemanden mit Frostschäden in der Seele, jemand, der davon selber nicht weiss oder höchstens ahnt, es aber ein ganzes Leben zu verbergen gewusst hat.« Er selbst weist solche »Frostschäden« auf, zeitlebens hat er Maria die Geschichte mit Anna, die Möglichkeit, nebst den beiden gemeinsamen Kindern noch ein drittes zu haben, verschwiegen.

Mit der Aufklärung des Mordes hat Marugg kaum zu tun, Assistent Kienzle leistet diese Arbeit. Marugg selbst, der als leitender Ermittler nicht einmal mit einem Handy ausgerüstet ist, will nicht so recht in seinen Beruf passen. Hingegen, um mit seiner Vergangenheit klarzukommen, hat er sich Rufus erschaffen, eine zweite innere Stimme, die kommentierend ins eigene Denken eingreift und seinen Schöpfer mit Spott und Hohn provoziert. Es sind dies die weniger zwingenden Passagen in diesem Roman. Moor verliert sich gern in psychoanalytischen Schattenkämpfen, die mitunter Pomadig-Wehleidiges oder dann Pathetisch-Altkluges vermitteln.

»Hosensäcke« u. ä.

Irritierend auch der Sprachgebrauch des 44-jährigen Autors. Moor »verdeutscht« ungehemmt Worte und Wendungen schweizerdeutschen Ursprungs. Wohl nicht aus Unwissenheit, denn dafür sind der Textstellen zu viele, und wohl sind diese auch »abgesegnet«, denn schliesslich wurde der Text vom Verlag lektoriert. Sprachpuristen aber sind solche Passagen ein Dorn im Auge: Da finden sich Hände nicht selten in »Hosensäcken«, auch wenn er »zu pressieren hat«. Hauptsache, er «hört ihr aufgestellt zu« - »Huere Siech!« Ohne Frage birgt diese Sprache einen gewissen Charme. Wer nun aber die vom Duden ausgewiesene Schriftsprache oder die Nonchalance regionalen Kolorits höher schätzt, die Beantwortung dieser Frage sei den Lesern überlassen.

Markus Moor geht es durchaus ums Wort: Sehnsucht oder Erinnern werden sehr genau reflektiert, Favorit beider Protagonisten aber ist dasWörtchen »eigentlich«. Gemäss den Tagebucheintragungen müsste man es »umgehen«, weil es »etwas Verborgenes, nie Offengelegtes« behaupte. Umgangen wird es indes kaum, es ist auch Maruggs Lieblingswort, auch wenn es ihm nicht leicht fällt zu sagen, »was eigentlich fehlt« - »eigentlich weiss er gar nichts«. Oder in der für den ganzen Roman bezeichnenden Wendung: »Jetzt ist es zu spät. Das ist vielleicht das Eigentliche.«