Übers Meer

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

208 Seiten

CHF 20.00, EUR 20.00

ISBN: 3-85990-042-0


6 Rezensionen

Mit feinen Strichen zeichnet Elisabeth Jucker das Porträt zweier Frauen, Mutter und Tochter, und stellt zwei ganz verschiedene Liebesgeschichten nebeneinander. Die Geschichte der Mutter ist zugleich ein Sittenbild der 50er-Jahre, beschreibt die damaligen Lebensverhältnisse der schweizerischen Landbevölkerung, den Alltag eines verschuldeten Kleinbauern im aargauischen Freiamt und einer Familie im Toggenburg, die von Heimarbeit in der Textilbranche lebt. Luzia, die älteste Tochter des Bauern, wächst teilweise bei ihrer Tante in der Ostschweiz auf und lernt so das kleinstädtische Leben kennen. Sie wählt ihren eigenen Weg, geht als Aupairmädchen nach London und arbeitet danach als Serviertochter in einem malerischen Städtchen am Zürichsee. Rolf, jüngster Sohn der Toggenburger Familie, reist als Monteur für eine Textilmaschinen-Firma in verschiedene Länder und pflegt mit Luzia einen regen Briefwechsel. Bei einem der seltenen Wiedersehen willigt Luzia ein, seine Frau zu werden. Wenig später begibt sich Rolf für einen neuen Auftrag nach Brasilien. Obwohl nun ein ganzes Meer zwischen ihnen liegt, versuchen die beiden, eine gemeinsame Zukunft zu planen.
Die zweite Beziehungsgeschichte spielt in den 70er-Jahren. Christine, die Tochter von Rolf und Luzia, beginnt ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann. Es entwickelt sich eine ziellose Liebe, die weder richtig beginnen noch enden kann.

Doch der Roman erzählt nicht nur von der Liebe, sondern auch vom Abschiednehmen und vom Sterben. Rolf liegt todkrank im Spital. Luzia und Christine wachen abwechslungsweise an seiner Seite. Fragen nach dem Sinn lebensverlängernder Massnahmen und Sterbehilfe werden aktuell und zeigen auf, wie schwierig eine solche Entscheidung sein kann.

Rezensionen

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Vom Leben, vom Sterben

Andrea Gerster / Thurgauer Zeitung / 16.12.03

Mein Lieblingsbuch

Das zweite Buch der 1954 geborenen Schweizerin Elisabeth Jucker trägt den Titel "Übers Meer". Die Geschichte vom Leben und Sterben, das feine Beobachten, die subtile Sprache berühren. Rolf liegt im Sterben. Seine Frau Luzia und seine Tochter Christine wechseln sich am Krankenbett ab. An neun Tagen des Hoffens, dass Rolf endlich sterben könnte, lässt uns Elisabeth Jucker teilhaben.

Aber da ist auch die Geschichte von Luzia und dem Leben in der Schweiz, im Toggenburg und im Aargau, um 1950. Und jene von Christine in den siebziger Jahren. Geschichten von Liebe, von Abhängigkeiten und Distanz schaffenden Denkweisen. Und mittendrin Rolf im Koma, der nichts dazu beiträgt zur Ordnung in den Gefühlen und im Denken und damit Nähe schafft. "Ich schaue ihn an und weiss, dass ich ihm nicht helfen kann. Er muss sein Leben allein zu Ende führen", denkt Christine einmal. Elisabeth Juckers Buch ist auch ein Nachdenken darüber, wie schwierig Entscheide zum Thema Sterbehilfe sein können.

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Lebensrückblick zweier Liebender

Christiane Dorsam / Rheinlandpfalz / 8.9.03

Elisabeth Jucker stellt ihren Roman "Übers Meer" vor.

Von unserer Mitarbeiterin Christiane Dorsam

"Verliebte Menschen sind nicht ganz bei Trost", meint die Schriftstellerin Elisabeth Jucker in ihrem zweiten, im Juni erschienenen Roman "Übers Meer". Die gebürtige Schweizerin erzählt darin die Liebesgeschichte zweier Frauen, Mutter und Tochter. Luzia, die Mutter, steht am Ende ihrer Liebe, denn ihr Mann Rolf liegt im Krankenhaus im Sterben. Tochter Christine hat mit 17 Jahren eine Affäre mit einem verheirateten 32-jährigen Mann begonnen - eine ziellose Liebe, die weder richtig beginnt, noch enden kann. Neun Tage werden im Buch beschrieben, in denen die beiden Frauen, abwechselnd an Rolfs Sterbebett, sich an ihre Vergangenheit erinnern. "Übers Meer" erzählt rückblickend den Lebensweg beider Frauen.

"In dem Roman geht es nicht nur um Liebe, sondern vor allem um das Abschiednehmen", erzählte die Schriftstellerin bei der Lesung ihres Romans während einer Veranstaltung des Literarischen Vereins "Räuber `77" beim Mannheimer Kunstverein. Mit feinen Strichen zeichnet Elisabeth Jucker, die 1954 in Schaffhausen geboren wurde und seit April in Mannheim lebt, die Geschichte von Luzia und Christine. Die Figur Luzia stellt ein Sittenbild der 50er-Jahre dar, Christine versinnbildlicht die 70er-Jahre.

Anhand der Mutter werden die damaligen Lebensverhältnisse der Schweizer Landbevölkerung beschrieben. Ihr zukünftiger Mann Rolf reist als Monteur für eine Textilmaschinen-Firma in verschiedene Länder und pflegt mit Luzia regen Briefwechsel in jungen Jahren. Am Sterbebett von Rolf bringt Luzia alle Briefe mit. Dem Leser werden unter anderem über die Briefe Ausschnitte aus der Liebesgeschichte der beiden erzählt. Als Rolf geschäftlich für ein paar Jahre nach Brasilien muss, versucht das Paar, obwohl das weite Meer zwischen ihnen liegt (wie der Buchtitel "Übers Meer" schon ankündigt), eine gemeinsame Zukunft zu planen. In ihrem Buch seien auch biografische Stellen zu finden, erklärt die Wahl-Mannheimerin den Rückblick auf die 50er-Jahre, nämlich auf die Zeit ihrer Eltern oder den Briefwechsel aus dem Nachlass ihres Vaters.

Im Mittelpunkt ihrer beiden Bücher steht vor allem der genaue Blick auf die Gefühle der Personen. Die Fragen "Wer ist jemand" oder "Wie stellt sich jemand dar" versucht Elisabeth Jucker durch genaue Beobachtung herauszufinden. Mit Liebe zum Detail beschreibt sie daher ausführlich die Umgebung und die Stimmung der Protagonisten: die fragile Ruhe am Sterbebett etwa, Christines innere Unruhe, den Arzt, der entweder zu früh, zu spät, aber nie zur rechten Zeit kommt, oder den Vater, der durch das dauernde Liegen wie ein zerzauster Vogel aussieht.

Drei bis vier Jahre hat die gebürtige Schweizerin Elisabeth Jucker gebraucht, um ihren zweiten Roman zu verfassen. "Diese Zeit benötige ich, bis das Buch gereift ist", sagt sie. Und an einem weiteren Roman arbeitet sie bereits. Darin bekomme die Männerwelt, wenn auch unbeabsichtigt, mehr Platz eingeräumt, versichert sie. Denn bereits ihr erstes Buch "Gestern brennt", im Jahr 2000 ebenfalls im edition 8-Verlag erschienen, beschreibt das Leben zweier Frauen. Das Ende von "Übers Meer", dessen Lektüre zum Entspannen einlädt, bleibt offen und lässt der Fantasie jedes einzelnen Lesers Platz.

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Geschichten von Liebe und Abschied

Sylvia Osthues / Mannheimer Morgen / 12.9.03

OSTSTADT: Elisabeth Jucker liest aus ihrem neuen Werk "Übers Meer" im Rahmen einer Veranstaltung des Literarischen Zentrums "Räuber 77".

Die Geschichte beginnt bedrückend düster, fast hoffnungslos: Draußen ist es nass und kalt, drinnen stirbt ein Mann. Ehefrau und Tochter teilen sich die Wache am Krankenbett. Sie halten Rückschau. Mit wachsender Neugier lassen sich die Zuhörer fortziehen - "Übers Meer", wollen mehr erfahren über die Liebe zwischen Luzia und Rolf, zwischen Christine und Alexander. Im Mannheimer Kunstverein las Elisabeth Jucker aus ihrem neuen Roman "Übers Meer", eine Veranstaltung von "Räuber 77", Literarisches Zentrum Rhein-Neckar e.V.

Die Autorin wurde 1954 in Schaffhausen geboren. Schon früh habe sie begonnen zu schreiben: Lyrik und Kurzgeschichten. Nach der Ausbildung zur Fotografin und verschiedenen Auslandsaufenthalten arbeitete sie bis 1990 als Flugbegleiterin und wohnte von 1991 bis 1994 in Schriesheim. Dort trat sie mit ihren Texten ein erstes Mal an die Öffentlichkeit, publizierte in Zeitschriften und Zeitungen. Von 1994 bis 2003 lebte sie in einem kleinen Ort bei Zürich. 2000 erschien mit "Gestern brennt" das erste Buch der Schriftstellerin, die seit April 2003 in Mannheim lebt. Sie liebe "das Leben in der Stadt, das Theater, die Kunst, die Offenheit und Kontaktfreudigkeit der Menschen".

Ihr zweites Buch "Übers Meer" gibt es seit Juni 2003: "Es ist die Liebes- und Lebensgeschichte zweier Frauen, die sie abwechselnd am Krankenbett erzählen", erläutert Elisabeth Jucker. Mit leiser Stimme, zurückhaltend - wie es ihre Art ist - erzählt sie aus den Briefen der Brautzeit (1948-1952), die Luzia zu ihrer Erinnerung noch einmal liest. Ein Sittenbild aus den 50er-Jahren und gleichzeitig eine Beschreibung der Lebensverhältnisse der damaligen Schweizer Landbevölkerung, erzählt mit einer gehörigen Portion Humor. Ihre Sprache ist kraftvoll, bildstark. Schnörkellos, in kurzen Sätzen - mit sich niemals im Detail verlierender Akribie, zählt Elisabeth Jucker auf, wie Luzia zunächst als Aupair-Mädchen in London und später als Serviertochter (Kellnerin) arbeitet, schließlich einwilligt in die Hochzeit mit Rolf, der wenig später als Monteur nach Brasilien geht: "Obwohl das Meer dazwischen liegt, planen sie eine gemeinsame Zukunft."

Ganz anders das Verhältnis zwischen ihrer Tochter Christine und Alexander. "Eine Liebe, die weder richtig beginnen noch enden kann", sinniert Elisabeth Jucker. "Es sind lauter Abschiede: in Liebesbeziehungen, vom Vater, Ehemann und Liebhaber und immer wieder ein Neubeginn, für die Frau, die sich in den Mann verliebt, für die Tochter, die sich endlich von der Liebe befreit." Nein, autobiografisch sei ihr Roman nicht. Ein Briefwechsel aus dem Nachlass ihres Vaters habe teilweise den Anstoß gegeben. Beendet habe sie das Buch nach drei bis vier Jahren, in denen sie immer wieder gelesen und korrigiert habe. "Das braucht es bei mir", betont sie. Ganz genau schaut Elisabeth Jucker in jedem Fall hin, zeichnet die Personen im Buch stets mit feinem Strich.

Wichtig sei ihr das menschliche Wechselspiel. Und die Frauen - während sie die Männer eher von außen betrachte, und sie im Buch auch nicht zu Wort kommen lässt. Doch sie arbeite schon an einem neuen Roman, in dem diesmal ein Mann die Hauptrolle spiele, auch wenn die Protagonistin eine Frau sei, wie sie schmunzelnd eingesteht.

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Liebe und Abschied

Helga Köbler-Stählin / Mannheimer Morgen

Neun Tage wird es noch dauern. Neun Tage, bis Rolfs Kräfte aus seinem Körper entschwinden und der Tod ihn erlöst. Und in diese neun Tage nimmt die Autorin Elisabeth Jucker den Leser mit. Empfindsam erzählt sie in einer Art Rückschau die Geschichte einer Schweizer Familie.

1948. Luzia, die junge Serviertochter, findet an Rolf Gefallen, der zum Mittagstisch zu ihr ins Lokal kommt, länger bleibt als die Kollegen, am Musikautomaten einen Tango wählt und mit Luzia tanzt. Bald darauf geht das Mädchen nach London, wo es als Au-pair arbeitet, und auch Rolf sucht in Frankreich, Belgien, Portugal und schließlich in Brasilien sein berufliches Glück. Und dann soll sie kommen. Übers Meer, zu ihm, soll ihn heiraten, diesen Rolf, den sie doch eigentlich nur aus Briefen kennt, und der ihr verspricht, dass sie sich nie über ihn beklagen muss. Doch jetzt sitzt Luzia im Spital, wacht bei ihrem Mann, der nach einem Schlaganfall fünf lange Jahre schon auf sie angewiesen ist. Sie liest noch einmal diese Briefe von damals und spürt, dass Rolf schon bald seine Reise in ein fernes Land antreten wird.

Christine, die gemeinsame Tochter, wechselt die Wache mit der Mutter ab, denkt in der Stille des Krankenzimmers über ihr eigenes Leben nach und erinnert sich an die Briefe, die ihr Alexander eines Tages zurückgab. Christine hatte plötzlich die Hoffnungslosigkeit ihrer Liebe zu diesem verheirateten Mann begriffen. Sie lernt Abschied zu nehmen.

Was hier so erzählerisch zusammengefasst ist, stellt sich als Elisabeth Juckers neuer Roman "Übers Meer" vor. Mit sicherer Hand beschreibt die Schweizer Autorin, die seit kurzem in Mannheim lebt, die Lebensgeschichte zweier Frauen und macht in ihrer eindringlichen Sprache so mobil, dass es schwer fällt, sich dem Bann des Buches zu entziehen. Ihre Gabe, mit sparsamen Worten das Gesagte in Fantasien, Gefühle und starke Gedanken zu verwandeln, macht das Buch so attraktiv wie die Lebensrätsel Liebe und Abschied, die hier facettenreich und äußerst subtil geschildert werden. Völlig zu Recht erhielt Elisabeth Juckers Roman einen Werkbeitrag der Kulturkommission der Stadt Baden in der Schweiz. In einer Lesung am 5. September, 19.30 Uhr, wird die Autorin im Kunstverein den Roman selbst vorstellen.

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Herzwege

Der kleine Bund / 12.7.03

Einem eigenen Gesetz hat die Lektüre gehorcht: Erst sperrte man sich dagegen, wollte die Rückschau der Protagonistin am Bett eines Sterbenden nicht so recht mitvollziehen und lehnte sich gegen einige konventionelle Sprachbilder auf. Dann aber regte sich immer mehr die Neugier, man liess sich fortziehen «übers Meer» und hätte gern erfahren, wie Rolf und Luzia in Brasilien zueinander gefunden haben. Doch da schlug man die letzte Seite auf blanko, aus wars.

Elisabeth Jucker, die ihr zweites Buch vorlegt, webt geschickt zwei Liebesgeschichten ineinander: jene der Eltern Rolf und Luzia und jene der Tochter Christine. Daraus ergibt sich ein kontrastreiches Muster, diktiert nicht nur von unterschiedlichen Zeiträumen mit ihren spezifischen Wertvorstellungen, sondern auch vorgegeben vom je eigenen Verlauf. Während die Eltern zwar zahlreiche Widerstände überwinden müssen, bis die Serviertochter Luzia unbeirrt ihrem Rolf, der für zwei Jahre im Auftrag einer Schweizer Firma als Monteur in Brasilien arbeitet, nachfolgen und sich mit ihm in der Fremde verheiraten kann, leidet Christine an der Ziellosigkeit ihrer Beziehung zum verheirateten Alexander und flieht schliesslich aus dieser Liaison.

Der denkbar grösste Gegensatz aber stellt sich am Krankenbett des alternden Rolf her: Da liest Luzia noch einmal die (auch zeithistorisch aufschlussreichen) Briefe aus der Brautzeit (1948 1952), während vor ihren Augen der Mann elend dahin stirbt und sie verschämt mit dem Ekel kämpfen muss. Rückhaltlos und gleichzeitig rücksichtsvoll zeichnet Elisabeth Jucker nicht nur den äusseren Zustand des Verfalls nach, sondern auch die Seelenlandschaft von Mutter und Tochter angesichts dieses Sterbens, wie sie auch Luzias bäuerliche Herkunftswelt vorzüglich einzufangen weiss. (bei)

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Eine Geschichte über das Abschiednehmen

Gregor Patorski / Aargauer Zeitung / 19.11.03

"Übers Meer": Elisabeth Juckers Roman handelt von der Sehnsucht zweier Frauen

Zwei Frauen - Mutter und Tochter - warten auf den Tod. Den Tod des Gatten, des Vaters. Nach jahrelanger Pflege nach einem Schlaganfall verschlechtert sich sein Gesundheitszustand rapide, er wird ins Krankenhaus gebracht. Dort halten die beiden unterschiedlichen Frauen abwechselnd Krankenwache: "Die Pflegerin berührt Vaters Stirn und streicht ihm die Haarbüschel hinter die Ohren. Dann schlägt sie die Decke zurück. Das Hemd ist ihm von der Hüfte gerutscht. Ich sehe die Delle mit der violetten Narbe, ertrage den Anblick bereits etwas besser. Der Rücken wirkt wie aufgespaltet und wieder zusammengenäht... Die Wirbelknochen seien bereits angefressen gewesen, hatte uns der Arzt gesagt."

Beide Frauen beginnen sich vom Sterbenden auf ihre Art und Weise zu verabschieden. Die Frau, Luzia, versenkt sich, weil sie die Gegenwart des Sterbens kaum erträgt, in die Vergangenheit der gemeinsamen Liebe. Sie liest die Korrespondenz, die Liebesbriefe, welche sie mit ihrem Mann Anfang der 50er-Jahre gewechselt hatte. Sie stammt aus einer ländlichen Schweizer Familie; er geht als Monteur einer Textilmaschinenfabrik in fremde Länder: zuerst Spanien und Portugal, dann Brasilien. Durch diese Briefe kommen die beiden sich, obwohl örtlich fern, immer näher. Weil sich diese Aufenthalte in die Länge ziehen, versucht das Pärchen zusammenzukommen. Eine Hochzeit wird arrangiert und Rolf holt seine Luzia nach Brasilien, übers Meer.

Unendlich nah, unerreichbar fern

Christine, die Tochter, hingegen verabschiedet sich von ihrem Vater, indem sie Verpasstes nachholen will und ihm aus ihrem Leben zu erzählen beginnt, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass der Dahinsiechende sie auch nur hört, geschweige denn begreift, gleich null ist. Sie erzählt ihm von einer Beziehung, die in ihrem Leben lange bestimmend war, der Beziehung zu einem verheirateten Mann. Einem Mann, dem sie unendlich nah kommen konnte, und der trotzdem unerreichbar fern blieb.

Übers Meer müssen beide

Geschickt verschränkt die in Wettingen und Mannheim lebende Autorin Elisabeth Jucker die Geschichte des sterbenden Rolf mit den Erinnerungen seiner Frau Luzia und den Briefen der beiden. Der Aufbruch Luzias zu Rolf nach Brasilien wird parallelisiert mit Rolfs Aufbruch von Luzia weg, aus dem Leben in den Tod. Übers Meer müssen beide.

Was aber von der Textkonzeption nicht so einleuchtet, sind die Erinnerungen der Tochter am Totenbett: Weshalb ausgerechnet erzählt sie dem Sterbenden diese Liebesgeschichte? Es scheint, als ob der Christine-Plot nur in den Roman eingeflochten wurde, um zwei unterschiedliche Lebensentwürfe und -konzeptionen zweier Frauen einander gegenüberzustellen: Einerseits die Möglichkeiten in den 50er-Jahren, andererseits die Freiheiten einer modernen Frau. Dieser wenig motivierte Aspekt am Roman ist weniger gelungen und weniger ergiebig als die Geschichte des Abschiednehmens und Sterbens. Was hier auch auffällt, dass die knapp 50-jährige Autorin das Leben der Mutter in den 50ern offensichtlich lebendiger zu beschreiben vermag als dasjenige der Tochter. Die Schilderung des kleinbäuerlichen Lebenswandels im aargauischen Freiamt ist sehr farbig und plastisch ausgeführt und zeigt dem Lesenden die Enge der damaligen Verhältnisse nur allzu deutlich auf. Sprachlich unaufgeregt, mit Liebe zum Detail und in seiner emotionalen Tiefe wird dieser Roman sicherlich seine Anhängerschaft finden.