… zum Fisch musst du Geranien essen

Buch

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Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

160 Seiten

CHF 20.00, EUR 20.00

ISBN: 978-3-85990-045-5


2 Rezensionen

Maja Bosshard blieb das zur Lebensbewältigung nötige Selbstverständnis versagt: Mit überscharfem Sinn für Banalitäten und falsche Töne des Alltags erlebte sie dessen (und ihre) Unzulänglichkeiten hautnah und rieb sich auf in der widersprüchlichen Sehnsucht nach Verankerung und befreiender Leidenschaft. Schreiben und künstlerisches Gestalten halfen ihr bei der Auseinandersetzung mit ihrer sensiblen, kantigen Persönlichkeit und der Welt, in der sie sich fremd fühlte, aneckte und schliesslich krank wurde. So entstanden im Laufe ihrer inneren Kämpfe Bilder, Objekte, Gedichte und Kurztexte, die ihre Gratwanderung dokumentieren und uns mit ihrem Schillern zwischen Vertraut und Unvertraut, mit ihrer Direktheit und ihrem existenziellen Gehalt in ihren Bann ziehen.

Maja Bosshard hat zu Lebzeiten nur im Verborgenen gearbeitet und nichts veröffentlicht. Erst nach ihrem Tod wurden Texte und bildnerische Arbeiten entdeckt und von ihrer Schwester Ursula Sauser gesichtet. Da Maja Bosshards Werk durch seine künstlerische Aussage und durch seine Nähe zur Art Brut weit übers Private hinausweist, unternahm Ursula Sauser bald erste Schritte, um es auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen: Im Jahr 2000 fand im Kunstraum Aarau eine Ausstellung statt, die auf ein sehr berührtes und interessiertes Publikum stiess.

Leseproben

Mit Fichtennadeln parfümiert oder: Ich bin eine Sparflamme
Ich bin eine Sparflamme. Ich brenne lange, aber ich brenne nie richtig; ich brenne nie richtig, weil ich dann zu früh abgebrannt wäre. Ich brenne immer nur so stark, dass ich nicht ganz auslösche. So umschwirren mich weder Falter noch Motten, nie hat sich eine die Flügel an mir verbrannt. Und nie hat mich ein Mensch genommen, weil er seine Dunkelheit erhellt haben musste zur Verrichtung der täglichen Dinge. Und alle meine Kraft und all meinen Erfindungsreichtum hab ich gebraucht zur Lösung der Frage: Wie brenne ich gerade so stark und kein bisschen mehr, dass ich nicht verlösche?

Kurzgeschichten

87. Geschichte: Narrengeschichte
Es war einmal ein Frosch. Ein dicker, blöder Frosch. Nie hatte er es geschafft, etwas zu sein. Mit dem Alter, schon ganz verwarzt und qualläugig, sagte er: „So, fertig! Jetzt muss etwas geschehen. Bin ich auch warzig und qualläugig, so lass ich mir doch nicht von jedem Idioten auf der Nase rumtanzen.“ Sprach’s, blies sich auf das Drei- bis Vierfache seines Volumens auf, und beim Ablassen liess er ein so riesiges Trompetengedröhn erschallen, dass männiglich erschrak und das Weite suchte. Den frei gewordenen Platz inspizierte er mal genauestens, dann bezog er ein grosses Haus, fest gebaut inmitten von Seerosenteichen. Wer sich getraute, vorsichtig wieder in die Gegend zu ziehen, begegnete dem Quallfrosch mit Hochachtung.

95. Geschichte: Kolibris denken anders
Kolibris denken anders, deshalb ist es so schwer für sie, einen passenden Käfig zu finden. Denn wohl jeder weiss, dass er einen Käfig braucht, aber es muss eben der richtige sein. Wenn es der richtige ist, dann denkt man nicht, dass es ein Käfig ist. Deshalb rufe ich die Halter von Kolibris auf: Überlegt euch gut, in was für Käfige ihr eure Vögelchen setzt. Denn was nützt euch ein Kolibri, der sich unglücklich zu Tode grämt. Ein Kolibri ist eben ein besonderes Vögelchen, winzig klein und flimmernd und schimmernd und blitzgeschwind. Unsichtbare Zwitschervögelchen.

103. Geschichte: Die erotische Libelle
Die Libelle ist ein erotisches Liebesobjekt. Ein sirrendes, flirrendes, schimmerndes, wimmerndes, ein schleierndes und weihendes. Aber nicht: weinend. Nein, nein. Nie. Flirrend und sirrend und wimmernd und schimmernd und räkelnd und häkelnd. Letzteres ist eigentlich gar nicht erotisch. Denn wer häkelt? Natürlich die Grossmutter, und die hat ihre erotischen Träume ausgeträumt, bevor sie nur schlafen gegangen ist. Zum Glück gibts noch eine Enkelin. Die ist nicht zu faul zum Träumen und Spintisieren und Flirren und Sirren und Wimmern und Schillern und …

105. Geschichte: Krokodilstränen fliessen zäh
Krokodilstränen fliessen zäh. Zäh wie Lava. Und heiss wie Lava. Niemandes Herrn. Und niemandes Sklave. Versteht man zu kapitulieren, versteht man alles. Solange die Bäckerei geöffnet ist, gibts Brot. Und solange dein Kiosk funktioniert, gibts Wasser. Wasser und Brot, davon will ich leben. Und dicke Backen und runde Backen und Arschbacken. Nein, keine Arschbacken, aber Penisse, runde, weiche, schlaffe Penisse, und runde, pralle, feste Eierlein. Das sind meine Lieblingsmenus an Sonn- und Feiertagen.

200. Geschichte: Was ist wichtiger: Putzen oder Sex?
Ich würde sagen: Putzen. Oder doch nicht? Eher Sex? Das ist wirklich eine schwierige Frage. Ob man sie einmal dem Papst vorlegen sollte? Er selber wird wohl nichts von beidem praktizieren. Aber eine Meinung dazu hat er sicher. Wahrscheinlich wird er sagen: Putzen ist die zwar niedrige, aber vor Gott gewiss nicht geringere Arbeit, die eben dieser Gott den Frauen huldvoll zugewiesen hat. Sex ist etwas, das es gar nicht gibt, obwohl es seltsamerweise doch vorkommt; wenn es vorkommt, dann unter Menschen, die in der Finsternis wandeln. Es ist die vornehme Aufgabe der Kirche, den Sex zu verbieten, unter Todes- bzw. Höllenstrafe zu stellen und so den Menschen die Möglichkeit zu geben, im Licht Gottes zu wandeln.

Rezensionen

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Kunst, im Verborgenen geschaffen

Caroline Frei, Wettinger Post / 20.11.03

Am Sonntag, 23. November, wird im Gluri-Suter-Huus in Wettingen zur Buchvernissage "... zum Fisch musst du Geranien essen" geladen. Texte und Bilder der verstorbenen Maja Bosshard, die nur im Stillen gearbeitet und nichts veröffentlicht hat, wurden von ihrer Schwester Ursula Sauser-Bosshard und dem Verlag edition 8 zum Lyrikband verarbeitet.

"Im Nachlass von Maja Bosshard hat man eine grosse Fülle von Kurzgeschichten, Gedichten, Bildern, Tagebuchfragmenten und Objekten gefunden", erzählt Jeannette Fischer, Mitglied der Verlagsredaktion. "Ihre Schwester Ursula Sauser-Bosshard sichtete die enorme Fülle und brachte Texte und Bilder an einer ersten Ausstellung 1999 im Kunstraum Aarau anlässlich der Veranstaltung Innenraum - Aussenraum - Kunstraum dem Publikum näher."

Bevor jedoch die Frage nach einem Buch aufkam, zeigte Ursula Sauser-Bosshard die Geschichten Freunden und Verwandten. "Die Texte kamen an. Man hat etwas damit zu tun", betont Ursula Sauer. Die Texte sind witzig, traurig, absurd, hellsichtig und lassen grosse Tiefe erahnen. Ein wunderbares Gemisch, das nicht abflacht, das sich nicht verzettelt. Menschliche Höhen und Tiefen, Feinheiten des Alltags, Ängste und böse Fantasien werden aufgedeckt. Ein literarisches Werk, das durch dichte klare Sprache besticht. Daraus ein Zitat: "Der einsame Vogel glaubt an die Engel und träumt von der Liebe. Hat Angst vor der Liebe und Angst vor den Engeln. Hat Angst vor dem Himmel und Angst vor der Erde."

Innerer Kampf um Leben und Tod

1952 wurde Maja Bosshard in Wettingen geboren, wo sie auch die Schulen besuchte und nachher als Lehrerin und Erzieherin an der Primarschule, Sonderschule und in verschiedenen Heimen wirkte. Später absolvierte sie die Ausbildung zur Handwerberin und machte sich in dieser Sparte selbstständig, bevor sie wieder an einer heilpädagogischen Schule arbeitete. Immer häufiger widmete sich Maja Bosshard dann ihrem künstlerischen Schaffen und zog sich gleichzeitig immer mehr vom sozialen Leben zurück. Als Künstlerin arbeitete sie jedoch irn Verborgenen. Ihr Dasein war gekennzeichnet von inneren Kämpfen um Leben und Tod, von Ängsten, die im Unermesslichen sich fanden. Ihre Einsamkeit und das Kranken an unserer Gesellschaft, aber auch ihre Lebensenergie finden einen Widerhall in all ihren Texten und Bildern.

Auf einer Ferienreise stürzte Maja Bosshard im Dezember 1992 in Sao Paulo, Brasilien, aus dem Fenster ihres Hotelzimmers zu Tode. Ob es ein Unfall, Verbrechen oder Suizid war, konnte nicht schlüssig geklärt werden.

"Schön und schweizerisch"

Jeannette Fischer ist auf Maja Bosshards Texte spontan "abgefahren", empfindet sie einfach als "schön schweizerische Literatur". Unzählige Arbeitsstunden wurden von ihr, Ursula Sauser-Bosshard und allen anderen am Buch Beteiligten investiert - ohne jegliche Entlöhnung. Auch die Gemeinde Wettingen und die Familien-Vontobel-Stiftung haben mit einem Zustupf die Umsetzung des Buchprojekts unterstützt.

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Todessehnsucht und Lebenskraft

pro mente sana 2/04

Das kleine, sorgfältig editierte Bändchen wurde von der Schwester der Autorin herausgegeben und mit einem Vorwort von Christian Scharfetter versehen. Maja Bosshard ist 1992, vierzig Jahre alt, unter ungeklärten Umständen in Brasilien gestorben. Zuvor kämpfte sie lange Zeit gegen ihre seelische Leiden. Sie drückte Schmerz, Einsamkeit, Lust, Freude und seelische Qual mit Malen, Schreiben und Modellieren aus. Sie hinterliess ihrer Schwester Ursula Sauser-Bosshard unzählige Bilder und Texte. Zu Lebzeiten wurde nichts von ihr veröffentlicht. Sie arbeitete aus Verzweiflung und um das Leben auszuhalten, nicht fürs Publikum. Ihre Arbeiten sind jedoch von einer kreativen Kraft und trotz der oft spürbaren Todessehnsucht voller Leben.