Zwei Fremde auf dieser Welt

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Aus dem Spanischen von Reiner Kornberger

Gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen

192 Seiten

CHF 21.00, EUR 21.00

ISBN: 978-3-85990-158-2

E-Book

ISBN mobi: 978-3-85990-366-1

ISBN epub: 978-3-85990-365-4


3 Rezensionen

Ein Mann reist in einem alten Studebaker durch Dörfer und Städte in Nordargentinien. Als Vertreter des Grosshandels J. J. Niemeyer verkauft er Waren von zweifelhaftem Nutzen an die von ihm besuchten Geschäfte. Immer wieder lässt er sein Leben Revue passieren, seine Kindheit, die gescheiterte Ehe, seine unerfüllten Wünsche, als Dichter zu reüssieren. Der namenlose Mann ohne Eigenschaften hat längst alle Illusionen begraben, pflegt keinen gesellschaftlichen Umgang, ist lediglich den abstrusen Gedankengängen seines sich zum Prediger entwickelnden Arbeitgebers Jott Jott Niemeyer alias Reverend Pablo ausgeliefert.

Das Leben könnte immer so weitergehen. Da entdeckt er in der Nachttischschublade seines Hotels einen Liebesbrief an einen durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Mann und beschliesst, die unterbrochene Korrespondenz unter falscher Identität wieder aufzunehmen. Es beginnt ein komplexes Spiel von Annäherung und Entfernung, von gegenseitigen Täuschungen, denn nicht nur der Handlungsreisende nimmt eine andere Identität an, auch die angebetete Frau, Clara, hat den Part einer Freundin, Alina, übernommen, die den Briefwechsel als Spiel begonnen hatte.
Wer hier auf unnachahmliche Weise in einer präzisen und dennoch poetischen Sprache von der Undurchdringlichkeit der Welt und dem Dunkel unseres Strebens und unserer Sehnsüchte spricht, gilt schon lange als ein wichtiger Erzähler Lateinamerikas, von dem nun endlich auch ein erster Roman auf Deutsch vorliegt.

Rezensionen

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Eine Geschichte, die hängen bleibt

Wolfgang Weitzdörfer / Hispanorama

Beim Schweizer Verlag Edition 8 erschien 2010 in der Reihe Durian die erste deutsche Übersetzung des Argentiniers Héctor Tizón: Zwei Fremde auf dieser Welt

Der argentinische Schriftsteller Héctor Tizón firmiert in seiner Heimat als Klassiker, ist im spanischsprachigen Raum hoch anerkannt und mit zahlreichen Preisen für sein Werk bedacht worden, das unter anderem aus 10 Romanen besteht – das deutschsprachige Publikum bekommt nun mit seinem Roman „Zwei Fremde auf dieser Welt“ aus dem Jahr 1999 eine erste Gelegenheit, in die literarische Gedankenwelt des Argentiniers Einblick zu nehmen. Und das nur knapp 200-seitige Buch hat es in zweierlei Hinsicht in sich.

Eine Geschichte, die hängenbleibt

Zum einen ist die Geschichte eine, die beim Leser hängenbleibt. Ein namenloser Mann, Handlungsreisender des Unternehmens von J.J. Niemeyer, findet in einem der zahllosen, anonymen Hotelzimmer, in denen er auf seinen Reisen nächtigt, einen Brief einer jungen Frau an einen Mann. Ein Liebesbrief. Selber vom Leben desillusioniert, von der Frau verlassen und die Grenze zur Depression und Selbstaufgabe immer wieder aufs Neue in Frage stellend, findet er in diesem Brief einer Unbekannten, einer Fremden, in seinem Innersten jene kleine Flamme noch am Brennen, die darüber entscheidet, ob ein Mensch sich völlig dem Nichts hingibt oder die Kurve im Rennen des Lebens noch einmal zu kriegen vermag.

Ein Spiel mit falschen Karten

Er schlüpft in die Rolle des Adressaten, schreibt der jungen Frau zurück. Ein leidenschaftlicher, lebensgieriger Briefwechsel zweier vom Leben in verschiedentlicher Hinsicht gestrafter Personen entwickelt sich. Doch beide spielen letztlich mit falschen Karten. Der Handlungsreisende, da er sich als der Juan Fernández aus den Briefen ausgibt, der sich doch in der Stadt, in der der Namenlose den Brief findet, an einer Straßenlaterne aufgehängt hat. Die junge und von ihrer Vergangenheit gezeichnete Clara, die sich als Abigail Martínez bezeichnet. Ein Name, den ihre beste Freundin Alina, die die Korrespondenz mit Juan ursprünglich aus einer Laune der Natur heraus begonnen hatte, ihrem brieflichen alter ego gegeben hatte.

Die alte Gottesfrage - und doch bleibt der Leser in mancher Hinsicht beglückt zurück

Und so ist der Roman letztlich ein einzig großes kosmisches Missverständnis, das auch Gott, der vielleicht in der Gestalt des alten Pater Luis oder des Geschäftsführers Jott Jott Niemeyer, der, nachdem er Gott gefunden hat, nur noch als Reverend Pablo angesprochen werden will, nicht entrümpeln kann oder will, und dessen Ende den Leser traurig, beglückt und grübelnd zugleich zurücklässt.

Zum anderen besticht der Roman mit einer großartigen, poetischen und dennoch straffen, gerafften Sprache und einem ruhig dahinfließenden Sprachstil. Wie der Handlungsreisende in seinem alten Studebaker auf den langen einsamen Straßen von Stadt zu Stadt fährt, um seine Waren zu verkaufen, die keiner wirklich brauchte, so lässt Tizón den Gedanken seines Protagonisten auf den langen Fahrten freien Lauf, lässt sie an die Anfänge seiner Jugend, über das erste Verliebtsein, der nach einigen Jahren die Scheidung folgte, bis hin zu seiner aktuellen beruflichen Tätigkeit und deren Sinn schweifen. Doch da ist ja auch noch Clara, deren Geschichte ebenso wichtig ist und ebenso ausführlich erzählt wird. Ihrer unglücklichen, von Misshandlung und Entbehrung geprägten Kindheit folgt eine ebenso der Welt fremde Zeit als erwachsene Frau, die im Hier und Jetzt genauso wenig angekommen scheint wie der namenlose Handlungsreisende.

So selten es vorkommt - ein in der Übersetzung besserer Titel als das Original: Der deutsche Titel „Zwei Fremde auf dieser Welt“ erscheint in diesem Kontext erstaunlicherweise treffender als der spanische Originaltitel: „Extraño y pálido fulgor“ (dt.: „Seltsamer und fahler Glanz“). Denn zwei Fremde sind sie, der Handlungsreisende und Clara - sich selbst genauso, wie zueinander -, deren Geschichten allerdings auf eine, nun, durchaus seltsam und fahle Weise miteinander verwoben sind.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Printausgabe der Zeitschrift Hispanorama.

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Stationen eines Scheiterns

Beate Frauenschuh / ekz-Informationsdienst

Ein Handelsvertreter in fortgeschrittenem Alter und voller enttäuschter Lebenserwartungen reist durch Nord-Argentinien. Während er im Studebaker über Land gondet, durchmisst er die Stationen seines Scheiterns. Kindheit, Eheleben, die vergeblichen literarischen Ambitionen. In einem Hotel findet er zufällig einen Liebesbrief und nimmt die unverhoffte Chance wahr, in die Rolle des liebenden Schreibers zu schlüpfen und seinem Leben in der Sackgasse einen neuen Inhalt zu geben. Das Versteckspiel nimmt seinen Lauf, denn auch die Briefpartnerin schreibt als eine andere, als sie in Wahrheit ist. Fast eine Vorform des allgegenwärtigen E-Mail-Mimikris wird hier subtil und poetisch beschrieben. Allerdings in einer Ruhe, die die Jetztzeit kaum noch kennt. Damals wie heute waren es jedoch die gleichen Sehnsüchte, die das Handeln der Menschen bestimmen. Dieser erste, auf Deutsch erschienene Roman des argentinischen Altmeisters sollte in grossen Bibliotheken für ein literarisch interessiertes Publikum vorhanden sein.

Beate Frauenschuh